Seit März 2022 soll Wodkatrinken im Rahmen einer speziellen Kampagne „vodka4peace“ den Frieden in der Ukraine befördern. Eine geflüchtete Ukrainerin hat zusammen mit Businesspartners eine derartige Initiative gegründet und in der Schweiz schon 50.000 Franken an Hilfsgeldern für Waisenkinder in der Ukraine erwirtschaftet (https://vodka4peace.com/). Die Kampagne ist natürlich mehr Werbeidee als ernstgemeinte Zielgröße. Aber dennoch ist sie wert, die Kulturgeschichte des „Saufens für den Frieden“ zu betrachten.
Inhaltsübersicht
Saufen für das Gute – nichts Neues
Es ist eine interessante Variante des Alkoholtrinkens, dass Konsumenten damit immer wieder glauben, die Welt retten zu können. Die innere Überzeugung, damit Gutes zu tun, stellt im psychologischen Sinne einen erlaubniserteilenden Gedanken, eine positive Kognition, zum Trinken dar. Für Normalkonsumenten unproblematisch, für Süchtige ein weiteres Alibi zum Konsum. War es einst möglich durch Werbung einer sauerländischen Brauerei, sich das Gefühl zu verschaffen, mit Bierkonsum den Regenwald zu retten, kann man heutzutage also den Frieden in der Ukraine vermeintlich durch Wodkatrinken herbeitrinken. Unter dem Hashtag „drinkforpeace“ wirbt eine Wodkabrennerei und eine NGO für das Gute und Friedenbringende am Saufen. Nicht abzusprechen ist ihnen wohl die gute Absicht.
Alkohol als Friedensbringer – eher zweifelhaft
Aber ob der Zweck alle Mittel heiligt, ist eine alte Frage der Ethik. Und die Antwort auf die Frage ist klar mit etlichen Zweifeln verbunden. Klar ist zumindest, dass zu viel Wodka den Trinker und oft auch sein Umfeld schädigen kann. Gewaltverhalten ist gerade unter destillierten Alkoholika nicht selten. Warum also nicht ein anderes Getränk für den Frieden? Kaffee und Tee sind zwar keine heimischen ukrainischen Produkte, aber als Werbeträger kämen sie mit blau-gelbem Design allemal in Frage. Aber Wodka hat vordergründig noch etwas vom Brudervölkischen an sich, da er in der Ukraine und in Russland zu den absoluten Lieblingsgetränken in der Bevölkerung zählt. Nur haben die Russen derzeit wenig Lust zum Anstoßen mit ihrem vermeintlichen Brudervolk. Das Produkt, das der Wodka der Stunde darstellt, nennt sich “Vodka Zelensky“. Und damit beginnt die Produktbezeichnung mit demselben Buchstaben, den die Gegenseite für ihren verbrecherischen Angriffskrieg nutzt.
Unternehmertum, Flucht und Helfermotiv
Auf der Website des Projekts heißt es: „… das Gründerteam um die Ukrainerin Anastasiia Rosinina ist entschlossen. Ihr ehrgeiziges Ziel: In diesem Jahr mindestens eine Million Euro mit dem Projekt VODKA 4 PEACE, welches als VODKA ZELENSKY startete, zu sammeln, um schnelle Soforthilfe sowie langfristige Unterstützung für die vom Ukraine-Krieg geschädigten Menschen zu leisten. Seit dem Launch des Charity-Wodkas Mitte März 2022 konnten in der Schweiz mit dem Abverkauf bereits 50.000 Schweizer Franken … gesammelt werden. Die Summe wurde als Soforthilfe an das Ohmatdyt Children’s Hospital, welches das größte Kinderkrankenhaus in Kiew ist, sowie an die ukrainische Hilfsorganisation Dusha Foundation gespendet“. Weiter heißt es: „Die Geburtsstunde hinter dem Premium-Wodka klingt außergewöhnlich und tragisch zugleich.
Nachdem die ukrainische Unternehmerin Anastasiia Rosinina nach tagelanger Flucht mit nur einem Koffer in der Hand völlig aufgelöst und traumatisiert die Schweiz erreichte, hatte sie das Verlangen einen Wodka zu trinken. Die Ukraine ist einer der größten Produzenten für Wodka, die Spirituose zählt zu den beliebtesten des Landes. In diesem Moment kam für Anastasiia nur eine Marke aus ihrer Heimat infrage. Zeitgleich fasste sie … den Entschluss, eine eigene Wodka-Marke zu kreieren, um damit den Ukrainern vor Ort zu helfen“.
Kurze Geschichte des Trinkens für den Frieden
Das Trinken für den Frieden hat sich meist als Verzweiflungstat entpuppt und kaum je einen Frieden erzeugt. Aber immerhin: Die Friedensverhandlungen am Ende des Dreißigjährigen Krieges in Münster und Osnabrück, die sich über vier Jahre hingezogen haben, haben ungezählte Mengen Wein und Bier seitens der Delegationen aus fast ganz Europa gekostet. Und das finale Anstoßen auf den Frieden seitens der Sieger (und nur dieser Seite) soll wohl die Opfer vergessen machen, den Triumph des Sieges rituell überhöhen und neue Zeiten heraufbeschwören. Kaum denkbar also, dass die Präsidenten Zelensky und Putin jemals mit einem oder mehreren Gläsern Wodka anstoßen und den Frieden feiern werden. Dafür sind moderne Kriege zu entritualisiert und zu entzivilisiert.
Wodka spielt eher eine Rolle auf Seiten der Täter, die es zu Kriegsverbrechen und Gräueltaten enthemmt. Eine weitere bekannte Anekdote aus der alkoholhistorischen Forschung berichtet, dass die österreichische Regierungsdelegation, die 1955 zu Gesprächen nach Moskau reiste, um den Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen zu erreichen, zuvor fleißig Wodkatrinken geübt hätte. Sie wussten wohl, dass ein Mann, der viel Wodka verträgt in den Augen der Gegenseite an Glaubwürdigkeit gewinnt. Also waren die Verhandlungen auch so etwas wie ein Trinkspiel unter regredierenden Männern. Und die Verhandlungen waren für Österreich erfolgreich, die sowjetischen Besatzungstruppen wurden alsbald abgezogen. So hat mutwillig erworbene Alkoholtoleranz zwar nicht den Frieden, aber die Souveränität und Neutralität eines Landes miterzeugt.
Cognac war im 1. Weltkrieg böse, weil er aus Frankreich kam
Die Kultur- und Sozialgeschichte der Menschheit lehrt, dass Substanzen im Hinblick auf Krieg und Frieden eine ambivalente Rolle einnehmen. Einerseits senken Alkohol und besonders Stimulantien die Tötungshemmung und fördern Brutalität und Unmenschlichkeit, andererseits dämpfen viele Substanzen – vor allem Opiate – Schmerzen und Traumatisierungen. Kriege sind schon lange ohne Drogen nicht mehr vorstellbar. Schon im Krimkrieg 1853-56 verordneten die Militärs ihren Soldaten Zigaretten statt Pfeifen, damit diese schneller angriffsbereit waren und nicht lästigerweise ihre Pfeifen noch zu Ende rauchen wollten. Im 1. Weltkrieg bewarb der Weinbrandhersteller Asbach-Uralt sein Produkt beim deutschen Heer und der Marine als den besseren Cognac. Unter anderem auch, weil der Original-Cognac ein Produkt des Feindes war und deshalb gebannt wurde.
Unter den US-Soldaten im Vietnamkrieg war der Gebrauch von Heroin so weit verbreitet, dass die militärische Führung den völligen Kollaps von Kampfmoral und militärischer Ordnung fürchtete. Die Beispiele ließen sich zahlreich weiterführen. Im Ukraine-Krieg des Jahres 2022 betäuben sich die Soldaten beider Seiten mit Wodka. Es geht viel schneller als mit Bier. Und so hat dann die Werbung für den Wodka Zelensky auch einen bitteren Beigeschmack, zu wissen, dass die Soldaten beider Seiten diesen Stoff brauchen, um sich zu betäuben und zu enthemmen. Nur so halten sie auf Dauer ihre körperlichen und noch mehr ihre seelischen Schmerzen aus.
Wodkatrinken oder nicht?
Vielleicht geht´s also auch eine Nummer kleiner mit der Hilfe für die Ukraine. Also ohne Wodkatrinken und Wettsaufen, aber mit klarem Blick. Spenden für die Opfer und Notleidenden allemal. In der Geschichte der Kriege der Neuzeit sind mit dem Alkoholtrinken und dem Drogenkonsum mehr Kriegsverbrechen als friedensstiftende Aktionen verbunden. Die Idee mit dem Wodkatrinken für den Frieden wirkt dennoch so charmant, weil sie von einer Betroffenen kommt.
Dennoch: Es gibt Tausend andere Wege, den Menschen dort zu helfen. Und der geheime Charme der Kampagne liegt vielleicht genau in der Wirkung des Alkohols als solchem: Gefühle zu unterdrücken. Es geht um die seit Wochen anhaltenden Angst- und Ohnmachtsgefühle in Anbetracht der Unmenschlichkeiten, die einem überfallenen Land passieren. Dies ist für die Betroffenen kaum auszuhalten, wird viele über Generationen anhaltende Traumata schaffen. Für uns im Westen sind die Ohnmachtsgefühle in Anbetracht der Abläufe schwer aushalten. Auch dabei beruhigt und sediert ein Wodka mit ukrainischer Flagge auf dem Etikett. Ändern kann er nichts.