Inhaltsübersicht
Irrglauben in Corona-Zeiten
Verschwörungstheorien sind derzeit in aller Munde. Ein globales, schwer kontrollierbares Phänomen wie die Corona-Krise schafft Hochkonjunktur für abstruse Annahmen, falsche Informationen, starkes Misstrauen gegen Herrschende in Politik und Medien und allerlei sonstigen Spuk. Nicht alles sind Verschwörungstheorien oder besser Verschwörungsmythen, wenn keine dieser sogenannten Theorien erfüllt die Kriterien einer wissenschaftlichen Theorie. Viele Bürger sind heutzutage besorgt um ihre Rechte und ihre Zukunft – um sie und ihr legitimes Anliegen geht es hier nicht. Im Fokus des Beitrags steht die Frage, wie irreal, surreal und realitätsfern Annahmen und Verhaltensweisen von Menschen in der derzeitigen Krise sein können und was die psychologischen Ursachen hierfür sind.
Definition von Verschwörungstheorie
Es gibt eine kaum übersehbare Menge von Definitionen und Definitionsversuchen für Verschwörungstheorien. Pragmatisch und prägnant soll hier als Verschwörungstheorie der Versuch bezeichnet werden, einen Zustand, ein Ereignis oder eine Entwicklung durch eine geheime Verschwörung, meist einen großen hintergründigen Plan zu erklären und damit die Welt ultimativ zu verstehen.
Es wird dabei behauptet und intensiv geglaubt, dass durch das zielgerichtete, konspirative Wirken einer meist kleinen elitären, böse gesinnten Gruppe von Akteuren ein Schaden für die meisten Menschen angestrebt wird und erzeugt werden soll . Es kann zwischen den Initiatoren von Verschwörungstheorien, die meist im Dunkeln bleiben, und den Konsumenten unterschieden werden.
Die Manipulierbarkeit von Menschen als erleichternder Faktor
Dass Menschen in nahezu beliebiger Weise verführbar sind, zeigen historische Ereignisse wie die Kreuzzüge, Hexenverbrennungen, der Terror der Nazis und Kommunisten. Zu allen Zeiten, besonders aber seitdem die Menschen sesshaft wurden und in größeren Gemeinschaften leben, sind sie verführbar durch Irrlehren, Hasstiraden und Manipulationen aller Art. Hier spielen charismatische, narzisstische Persönlichkeiten eine tragische Rolle und die Medienflut der postmodernen Welt inflationiert alles noch obendrein, macht es also durch die leichte globale Verbreitung noch riskanter und unberechenbarer.
Unsichere Zeiten und Krisen sind der ideale Nährboden für Irrlehren
In Situationen und Zeiten erhöhter Unsicherheiten und Bedrohungen entwickeln Menschen Vorstellungen über die Ursachen dieser Entwicklungen. Psychologisch handelt es sich um einen Erklärungszwang, den wir alle in unserem kognitiven System (Denken, Erkennen, Bewerten, Handeln) aufweisen. Dieser wird als Attribution (wörtlich: Anheftung; übertragen: Erklärungen) bezeichnet. Im Hintergrund steht die uralte Menschheitsfrage: Wie können wir wissen? Wie entsteht Gewissheit? Um diese Fragen und deren psychologischen Hintergründe geht es im Folgenden.
Psychologische Ursachen der Affinität für Verschwörungsmythen
Ganz allgemein sind Männer und Menschen mit geringem Bildungsgrad anfälliger für Verschwörungsmythen. Es handelt sich eher um die Gruppen, die gesellschaftlichen Abstieg erlebt haben oder befürchten müssen. Oft steht die Affinität für diesen im Endeffekt selbstwertstärkenden Glauben in Zusammenhang mit psychologischen Merkmalen, die bis hinein in den Bereich der Auffälligkeiten und Störungen reichen. Um besseren Verständnis dieser besonderen Vulnerabilitäten sind diese im Folgenden aufgelistet und erläutert.
Die psychologischen Anfälligkeiten für Verschwörungserzählungen sind zahlreich
Die wichtigsten psychologischen Anfälligkeiten für Verschwörungsmythen liegen im Bereich der psychischen Defizite und Störungen. Diese als Vulnerabilitäten für irrationales Denken verstehbaren Hintergründe sind den Betroffenen in der Regel nicht bewusst und können erst durch Selbstreflexion und Psychotherapie erschlossen werden:
(1) Narzisstisch
(2) Antisozial
(3) Mangelnde Emotionsregulationskompetenz, leichte Erregbarkeit, Impulsivität
(4) Trait-Angst
(5) Minderintelligenz
(6) Manipulierbarkeit, Suggestibilität
(7) Soziale Ansteckung , Gruppenzugehörigkeit, Minderheiteneffekt
(8) Identitäts- und Selbstwertprobleme
(9) Kognitive Stile: Rigidität, geringe Ambiguitätstoleranz
(10) Paranoider, schizotypischer Persönlichkeitsstil
(11) Wahnhaftes, psychotisches Denken und Empfinden
Die Vielfalt der möglichen psychologischen Hintergründe zeigt, dass bei Verschwörungstheoretikern sehr viele Ursachen zusammen kommen können, divergierende Motive und Umstände, aber ein homogenes Ziel vorherrscht: Unwiderlegbar Recht zu haben gegen die bestehende Ordnung oder die mehrheitliche Realitätskonstruktion.
Das psychische Geschehen im Einzelnen
Die genannten Auslösefaktoren für die Affinität zu Verschwörungsideologien sind wie folgt zu interpretieren.
Narzissmus
Beim (1) Narzissmus steht das absolute Streben nach Größe, Bedeutung und Anerkennung im Vordergrund. Wird die Person nicht als großartig und einzigartig anerkannt, tut sie alles, um auf sich aufmerksam zu machen und verehrt zu werden. Das Gefühl im Unterschied zur großen Mehrheit so klug zu sein, dass man den großen geheimen Plan durchschaut, gibt den narzisstischen Personen zusätzlich Bestätigung und Wichtigkeit. Für Führungsfiguren oder solche, die es werden wollen, bei Verschwörungsmythen ein ideales Betätigungsfeld.
Antisozialität
Verwandt mit Narzissmus ist die (2) Antisozialität, bei der auch die Manipulationskunst und das überdehnte Ego im Vordergrund stehen. Antisozialität ist aber die etwas rauere, sozusagen rustikalere Variante, z.B. mit Einschüchterung, Drohungen und Mangel an Mitgefühl. Der Antisoziale setzt sich brachial durch und missachtet die Bedürfnisse anderer. Wenn Menschen bewusst ohne Mundschutz ohne Abstand auf sogenannten „Hygiene“-Demonstrationen auftreten, spiegelt dies antisoziale Motive wieder genauso wie der Verkauf von Mundschutzmasken zu horrenden Preisen.
Impulsivität
Ein hohes Maß an (3) Impulsivität, gepaart mit Problemen der Emotionsregulation, kann ebenfalls zu einem Hang zu Irrationalitäten und schneller Begeisterung für abstruse Meinungen führen. Emotionen wie Wut, Ärger und Zorn werden schnell ausgelöst und können kaum kontrolliert werden. Verschwörungsphantasien geben einen hervorragenden Anlass für impulsive Ausbrüche auf vermeintliche Schuldige und deren Handlanger.
Trait-Angst
Eine komplementäre Ursache der für Affinität für Verschwörungsideen ist starke Angst, verstehbar als existentielle Unsicherheit und dauerhafte Persönlichkeitseigenschaft. Dieses, als (4) Trait-Angst, bezeichnete Persönlichkeitsmerkmal kreist um Unsicherheit, Befürchtungen und Zukunftssorgen. Menschen mit hoher Trait-Angst suchen nach Erklärungen für ihre Ängste, um diese wenigstens einordnen zu können. Reduziert oder zum Verschwinden gebracht werden sie dadurch nicht. Verschwörungsnarrative werden zu einem Hafen ihrer Ängste und dort entsteht die Sehnsucht, sie durch die Verfolgung der dort propagierten Heilsideen bewältigen zu können. Die gelingt am Ende natürlich nicht, so dass immer neue Verschwörungserzählungen die Macht über den hyperängstlichen Menschen erlangen werden.
Minderintelligenz
Schließlich kann (5) Minderintelligenz zu defizitärer Realitätswahrnehmung und –verarbeitung führen. Komplexität wird weder erkannt noch verarbeitet. Die gespürte Unsicherheit muss reduziert und fassbar gemacht werden. Das Ganze resultiert in einer Tendenz zu einfachen Denkmustern und –lösungen.
Suggestibilität
Manche Menschen sind besonders leicht durch andere manipulierbar, oft ohne dass sie dies bemerken. Im Hintergrund dieser hohen (6) Suggestibilität und Manipulierbarkeit stehen meist ein geringes Selbstwertgefühl, Selbstunsicherheit und Ängstlichkeit. Der nächste Einflussbereich für Verschwörungserzählungen bezieht sich auf Gruppen und sozialen Einfluss.
Soziale Ansteckung
Die Phänomene (7) Soziale Ansteckung, Gruppenzugehörigkeitsstreben und Minderheiteneffekt sind altbekannte sozialpsychologische Effekte. Menschen sind bereit, sehr viel zu investieren an Mühe, Zeit, Energie und Engagement, um zu einer für sie attraktiven Gruppe zu gehören. Diese geben sich den Anschein der Exklusivität und des elitären Wissens. Wenn sich diese Gruppe künstlich mit Geheimnistuerei, Aufschneiderei, mystischen Erzählungen wichtig macht, bekommt sie für viele einen höheren emotionalen Wert, eine Art magnetische Anziehungskraft. Insbesondere geheimbündlerische, sektiererische oder subkulturelle Gruppierungen, die immer Minderheiten darstellen, können so für potentiell affine Personen sehr attraktiv werden. Die oft sehr charismatischen Meinungsführer müssen es nur geschickt anstellen, sich interessant zu machen, es werden sich dann schon genug Personen einfinden, die folgen wollen.
Minderheiten erhalten oft mehr Aufmerksamkeit als Mehrheiten, die als langweilig und wenig aufregend empfunden werden. Bewusst abgekapselte, geheimnistuerisch agierende Minderheiten („Quasi-Geheimzirkel“) entwickeln so eine große Anziehungskraft, insbesondere auf Menschen mit Zugehörigkeitswünschen, geringer Kritikkompetenz und hohem Sensation-Seeking („Sensationshunger“). Sich wichtig machen in seiner Unwissenheit und Ahnungslosigkeit ist die narzisstische Strategie (siehe 1), um Mitläufer und „Followers“ zu finden. Gepaart mit einem charismatischen Charakter kann das richtig erfolgreich sein. Zumindest eine Zeit lang. Und das heißt in der schnelllebigen, aufgeheizten Internet- und Medienwelt schon sehr viel.
Identitäts- und Selbstwertprobleme
Besonders anfällig für Verschwörungsmythen sind Menschen mit (8) Identitäts- und Selbstwertproblemen. Gerade auf der Basis einer diffusen Identität und eines fragilen Selbstwerts entsteht eine Affinität für schnelle, scheinbar plausible Erklärungen. Komplexität als Grundprinzip moderner Welt wird abgewehrt oder verleugnet. Verschwörungsmythen bieten den Charme einfacher Antworte und Lösungen, verengen aber in Wirklichkeit den Blick und lenken ihn in eine falsche Richtung.
Rigidität und geringe Ambiguitätstoleranz
Die Affinität zu Verschwörungsideologien setzt nicht nur bestimmte Persönlichkeitsmerkmale und emotionale Besonderheiten voraus, sondern auch Denk- und Wahrnehmungsstile. Mit diesen (9) kognitiven Stilen sind insbesondere Rigidität und geringe Ambiguitätstoleranz gemeint. Im Hintergrund steht die Unfähigkeit, Widersprüche zu ertragen und mit ihnen produktiv umzugehen. Stress, emotionaler Druck, persönliche Notlagen können Rigidität erzeugen und müssen empathisch verstanden und beantwortet werden. Durch einfache Erklärungen wird der Wunsch nach Gewissheit gestillt. Auch magisches Denken, definiert als der Glaube, dass die Welt durch übernatürliche Kräfte gesteuert wird, kann zu den problematischen kognitiven Stilen im Bereich von Verschwörungsideologien gehören. Die Aufgabe der Politik, Medien und Zivilgesellschaft muss die Deskription und Interpretation der gegenwärtig besonders komplexen Realität sein, damit Menschen mit den hier beschriebenen psychologischen Strukturen adäquatere kognitive Lösungsmöglichkeiten erhalten.
Paranoider, schizotypischer Persönlichkeitsstil
Klassisch für die Initiatoren sowie Anhänger von Verschwörungsgeschichten sind Menschen mit (10) paranoidem, schizotypischem Persönlichkeitsstil. Bei ihnen ist ein stabiles, unflexibles Weltbild zu finden, das aus pathologisch übertriebenem Misstrauen und magischem Denken besteht, gepaart mit der Unfähigkeit auf unterschiedliche Umstände flexibel zu reagieren. Sie fühlen sich oft durchgängig bedroht, unverstanden und benachteiligt und entwickeln oft exzentrische Verfolgungs- und Bedrohungsideen. Die Fähigkeit oder gar Bereitschaft zur Überprüfung der Weltbilder ist meist nicht vorhanden.
Wahnhafte, psychotische Persönlichkeiten
In fließendem Übergang zur schizotypischen Persönlichkeit mit ihren exzentrischen bizarren Vorstellungen der Welt finden sich (11) wahnhafte, psychotische Persönlichkeiten, die den Kontakt zur Realität vollkommen verloren haben. Hier herrscht ein Welt- und Menschenbild vor, das mit Empathie und Verständnis nicht mehr nachvollziehbar ist. Der Wahn ist mehr oder weniger extrem die innere private Welt. Am Anfang ihrer Entwicklung können diese Menschen mit ihren vermeintlich seherischen Qualitäten ebenfalls eine große Anziehung auf vulnerable „Followers“ ausüben.
Natürlich können auch mehrere der 11 genannten Risikomerkmale in Kombination bei hoher Affinität für Verschwörungsideologien auftreten. Hinzu kommen natürlich noch Personen ohne psychisch gestörten Hintergrund, denen es um Macht, Einfluss, Rechthaben, Wichtigkeit geht, oder solche, die auf dem Weg in eine psychische Störung sind.
Was glauben? Im Dschungel der Fakedemien
Das menschliche Gehirn ist in der Lage, so ziemlich jeden Unsinn zu produzieren, an ihn zu glauben und sich fanatisch Glaubenssätzen und Ideologien zu unterwerfen. Nicht umsonst hat die europäische Aufklärung des 18. Jahrhunderts gefordert, dass der Mensch sich seines Verstandes bedient, um sich aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit zu befreien. Dafür wurden in der Folge viele Wege entwickelt. Antike Denker wie Sokrates, Platon und Aristoteles haben diesen Weg schon prägend vorgezeichnet. In Bezug auf unsere heutige hochkomplexe Welt heißt dies, nicht zu schnell Behauptungen und Meldungen zu glauben, die plausibel erscheinen, aber nicht hinreichend belegt bzw. belegbar sind.
Die Behauptungen einer Verschwörungstheorie sind nie letztendlich beweisbar oder widerlegbar und können daher auch nicht als Theorie im wissenschaftlichen Sinne, sondern nur als Mythos oder Narrative betrachtet werden. Wir leben in einem Zeitalter des täglichen Informationskonfettis und Informationsoverkills, was vielfach auch Fakedemie, bedeutet. Fake-Meldungen haben sich explosionsartig vermehrt, werden für politisch-manipulative Zwecke eingesetzt, bedrohen die demokratischen Zivilgesellschaften und verwirren vulnerable Personen besonders.
Verschwörungsmythen sind wie Babuschkas
Mit den Verschwörungsmythen ist oft wie mit den Babuschka-Puppen: In oder hinter einer Verschwörungserzählung steckt noch eine und noch eine und noch eine… Dies kann nicht überraschen, da es um die große Welterklärung und den Glauben an den großen geheimen Plan geht. Und wenn der große, geheime Verschwörer nicht binnen einiger Jahre die Weltherrschaft übernommen hat, muss das bisherige Narrativ erweitert, erneuert oder ausgebaut werden.
Fakedemien, Populismuspolitik und Nebelkerzen gehen Hand in Hand
Eine explodierende Ausbreitung falscher Behauptungen und Anschuldigungen machen die gegenwärtige Welt zu einer Nebelwand des Ungewissen. Peinlich genug, dass populistische Staatenlenker, wie Trump, Bolsonaro, Erdogan usw. sich proaktiv dieser Methoden benutzen, um zur Macht zu kommen bzw. ihre Macht zu zementieren. Solange die weltweite Fakedemie, die inflationäre Ausbreitung von Lügen und Falschbehauptungen nicht durch Sanktionen und negative Konsequenzen für die Urheber und Verbreiter kontrolliert und eingedämmt wird, müssen wir unseren Verstand schärfen, ohne paranoid zu werden, und Plausibilitäts- und Wahrscheinlichkeitsurteile fällen, Heuristiken entwickeln, Emotionen regulieren, um unbeschadet durch diese postmoderne informatorische Massenseuche zu kommen.
Die Rolle der Medien – ein Trauerspiel
Zahlreiche Medien sind dabei nicht hilfreich, sondern die Verursacher, zumindest aber Nutznießer der Fakedemie. Dies betrifft sowohl Soziale-Netzwerk-Mogule wie Facebook, Twitter, Instagram als auch eher klassische private Medienkonzerne und ihre Produkte, die mit Sensationslust, Voyeurismus und Falschmeldungen Profite machen. Auch die öffentlich-rechtlichen „Anstalten“ verfehlen allzu oft ihre Aufgabe, indem sie latent oder offen tendenziös berichten und sich nicht selbst kritisch genug reflektieren. Sie beherrschen die Kunst des Nicht- Meldens, Ignorierens und Unterlassens oft zu gut. Die derzeitige gesellschaftliche Krise haben sie durch ihre Informationspolitik, z.B. in Bezug auf die Flüchtlingskrise von 2015 oder im Umgang mit radikalfeministischer Agitation, mitgestaltet und mitverursacht. Zusammengefasst: Die modernen Medien sind keine Hilfe bei der Fakedemie, sondern Teil des Problems. Dabei sollten sie eher zur Lösung beitragen. Dazu sollten deutlich mehr Energien als bisher eingesetzt werden.
Wissen ist vorläufig und eine Herausforderung für weiteres und tieferes Wissen
Die Botschaft der Aufklärung und durch Wissen Wahrheit Suchenden ist bei alledem: Lasst Euch nicht blenden und täuschen, die Wahrheit ist oft nur durch große Anstrengung zu entdecken. Ja, aber eben durch Anstrengung und Nutzung des Verstandes, sicher auch der Intuition, aber eben nicht der übertriebenen Emotionen von Hysterie bis Angst und Panik. Die Wissensunsicherheit in einer Welt des Komplexen ist eine große Herausforderung für die Wissenschaften und zugleich ein großes Problem zur Eindämmung von Verschwörungstheorien. Aber warum nicht an das Wahrscheinlichste glauben? Wir können immer nur glauben statt wissen. Die Unschärfe des Wissens ist ein andauerndes Problem.
Kritischer Rationalismus und Skeptizismus
Der Kritische Rationalismus von Sir Carl Popper betont, dass Wahrheit – gegossen in einer gute Theorie der Realität – immer vorläufig ist, dass sie bestätigt werden kann und soll, dass sie aber auch immer falsifiziert werden kann und können muss. Das gilt auch für Verschwörungsideen, die meist noch nicht einmal die Kriterien einer Theorie erfüllen, eher Mythen, Erzählungen und Narrative darstellen.
Bei aller Apologie der kritischen Haltung – auch und gerade gegen Herrschende, Reiche, Mächtige – der Verstand muss und darf eingeschaltet sein. Mit der Wahrheit ist es wie mit der Seife, sie ist schwer zu packen, noch schwerer zu halten und im Nu entgleitet sie einem. Dies kann aber kein Grund sein, Un- und Halbwahrheiten an die Wand zu nageln und sie wie letztendliche Verkündigungen anzubeten. Für jede sogenannte Wahrheit müssen die Regeln des Skeptizismus gelten. Wo sind die Belege und Fakten dafür, wie kann sie widerlegt werden, ist sie vielleicht schon gar widerlegt. Dass die Welt dabei mehr darstellt, als der kleine für uns Menschen mit unseren Sinnen wahrnehmbare Ausschnitt versteht sich von selbst.
Zum Schluss: Sucht und Verschwörungsglauben
Nach diesem Einblick in die psychologischen Hintergründe von Verschwörungsglauben noch die Frage, was das alles mit dem Phänomen der Sucht zu tun hat und warum Suchttherapeuten eine besondere Expertise im Erkennen und im Umgang mit Verschwörungs“theoretikern“ haben. Bei weitem nicht jeder Suchtkranke ist in diesem Bereich einzuordnen. Jedoch sind die Phänomene der kognitiven Abwehr und Verzerrung bei Sucht – aus gutem Grund – besonders stark. Es geht darum, nicht zu erkennen, was mit einem selbst los ist. Zum einen leisten die psychotropen Substanzen, die fast durchgängig durch Gehirn und Körper geschickt werden, bei der Veränderung der Selbst- und Fremdwahrnehmung gute Dienste. Zum anderen entwickeln sich die Suchtkranken vor dem Hintergrund von Scham- und Angstabwehr oft zu Meistern der kognitiven Verzerrungen.
Abwehr, Verleugnung, Verdrängung, Umdeutung, Fremdzuweisung, Exkulpierung und Projektion sind nur einige der verbreitetsten Strategien. Unterm Strich geht es darum, sich selbst und die oft ganze banale Realität nicht zu erkennen. Dafür sind Verzerrungen, Umdeutungen und Leugnung besonders geeignet. Am Beispiel der Suchtkranken ist erkennbar und wird nachvollziehbar, wie weit kognitive Abwehrstrategien im Dienste der vermeintlichen Aufrechterhaltung des Selbstwertgefühls gehen können: Nämlich bis zur völligen Umkehrung der Realität, gepaart mit der festen Gewissheit Recht zu haben. Wenn ich nur lange genug die Realität verzerre, glaube ich auch mit größter Inbrunst an die neu geschaffene innere und äußere Welt. Suchttherapeuten wissen, wie langwierig und komplex der Weg zurück in die normale, reale Welt sein kann.
Auch wenn wir alle schon mal an die eine oder andere Verschwörungstheorie geglaubt haben oder von der Schönheit und Komplexität einer Verschwörung überrascht wurden, bleibt der Leitsatz der Aufklärung unumstößlich: Befreie Dich aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit! Nutze Deinen Verstand, den Dir Millionen Jahre Evolution geschenkt haben, so intensiv und gut wie möglich