Versagensgefühle (Sucht und Emotionen #5)

Das Gefühl, schwerwiegend oder öfter zu versagen, ist für die meisten Menschen, die es betrifft, eine schwere Belastung, oft eine dauerhafte Qual. Nicht selten entwickeln sich in der Folge Scham- und Schuldgefühle. Häufig folgen auf die lange Sicht dann im Vorfeld von Anforderungen Versagensängste, aber auch Kummer und Depression sowie übermäßiger Substanzkonsum und Sucht. Um erfolgreich mit chronischen Versagensgefühlen fertig zu werden, erfordert es Mut zur Bewältigung und die Fähigkeit, mit negativen Gedanken und Bewertungen abzuschließen. Allzu oft werden Versagensgefühle abgewehrt und verleugnet, weil sie zu belastend und beängstigend sind. Dazu helfen – besonders häufig bei Männern – Alkohol und andere Substanzen. Versagensgefühle sind jedoch zu bewältigen, wenn man sich ihnen stellt und sich mit Vertrauenspersonen austauscht.

Was sind überhaupt Versagensgefühle?

Versagensgefühle beziehen sich auf das emotionale Erleben von Misserfolg, Selbstzweifel und Unzulänglichkeit. Es handelt sich um ein Gefühl der Entmutigung oder des starken Selbstzweifels, die entstehen, wenn man bestimmte Ziele nicht erreicht oder Erwartungen nicht erfüllt. Diese Gefühle können durch objektive Misserfolge oder auch durch subjektive Wahrnehmungen von Unzulänglichkeit ausgelöst werden. Insofern kann ein Versagensgefühl von außen oder von innen heraus entstehen. Versagensgefühle beeinträchtigen das Selbstwertgefühl meist stark und führen dazu, dass man sich unsicher oder unzureichend fühlt.

Wenn sich diese Konstellation wiederholt, können Selbstzweifel und niedriges Selbstwertgefühl zum Dauerproblem werden. Daher ist es wichtig, Versagensgefühle anzuerkennen und sie konstruktiv und offen zu bewältigen, um Selbstbewusstsein und ein positives Lebensgefühl zu erlangen. Oft liegen den Versagensgefühlen zu hohe Ansprüche an sich selbst im Sinne von Perfektionismus oder Manipulation durch andere zu Grunde. Auf jeden Fall sollten Versagensgefühle proaktiv angegangen und bewältigt werden, um negative dauerhafte Probleme zu vermeiden. Dafür befinden sich am Ende des Textes fünf wichtige Tipps.

Versagen oder Versehen

Die beiden Wörter „Versagen“ und „Versehen“ klingen nicht nur ähnlich, sie liegen auch in ihrer psychologischen Bedeutung eng beieinander. Versagen bezieht sich auf einen Fehler, der aufgrund von Nachlässigkeit, Unfähigkeit oder Fahrlässigkeit passiert, während Versehen sich auf ein unbeabsichtigtes oder unabsichtliches Handeln bezieht. Versagen impliziert oft eine Schuld oder Verantwortung des Handelnden, während Versehen eher als ein unglücklicher Zufall betrachtet wird.

Menschen, die unter einem Versagen leiden, sollten überprüfen, ob sie tatsächlich Schuld auf sich geladen haben, oder ob sie nicht eher kaum oder nur wenig Kontrolle über ihren Fehler hatten, so dass es sich um ein Versehen gehandelt haben könnte. Gerade für Menschen, die dazu neigen, sich oft und schnell schuldig zu fühlen, ist dies ein Weg zur Erleichterung. Andererseits sollten sich Menschen, die gewohnheitsmäßig Verantwortung für die Folgen ihres Handelns von sich weisen, fragen, ob sie sich den Folgen ihres Handelns besser stellen, um ihre Fehler bezüglich innerer Haltungen, aber auch im realen Verhalten, revidieren zu können.

Akute vs. chronische Versagensgefühle

Versagensgefühle können akut oder chronisch auftreten. Wenn ich im Sport oder im Beruf trotz jeweils guter Vorbereitung das gewünschte Ziel nicht erreicht habe, ist dies zunächst ein einmaliges Versagen, das sogar im Nachhinein zu mehr Leistung anspornen kann. Das punktuelle Versagen ist dann ein Ansporn für eigene bessere Leistung. Problematisch sind die dauerhaften, sich festsetzenden Versagensgefühle. Diese nagen am Selbstwertgefühl und zerstören es auf die lange Sicht. Sich immer wieder als der Letzte, Schlechteste und Unfähigste zu fühlen, macht depressiv oder süchtig oder beides. Deshalb braucht es bei chronischen Versagensgefühlen Hilfen und Lösungen für ein sich verbesserndes und gesundes Selbstwertgefühl.

Häufig resultieren Versagensgefühle aus übertriebenen, unrealistischen Forderungen der Umwelt. Diese beginnen in der Kindheit durch Eltern, später Peers und dann durch Vorgesetzte und Kollegen in der Arbeitswelt. Wenn Eltern ihr Kind mit schulischen oder sportlichen Anforderungen überfordern, wird dies zum Problem für das Selbstwertgefühl des Kindes. Aber auch, wenn es an Zuwendung und Liebe mangelt, oder wenn das Kind sich sogar mehr um seine psychisch kranken oder suchtkranken Eltern kümmern muss, als dass diese es fördern und zum Aufblühen bringen. Ein Gefühl chronischen Versagens kann durchaus das Resultat übermäßiger, unrealistischer Anforderungen der Umwelt an Kinder und Jugendliche sein.

Wie umgehen mit Versagensgefühlen?

Versagensgefühle können auf die Dauer sehr belastend sein, aber es gibt verschiedene Möglichkeiten zum Umgang damit: 

  1. Anerkennen und akzeptieren: Akzeptiere Deine Gefühle und erkenne an, dass es normal ist, sich manchmal unzulänglich zu fühlen! Niemand kann oder muss perfekt sein. Vermeide es, Dich selbst dafür zu verurteilen, dass Du diese Gefühle hast!
  2. Perspektivwechsel: Versuche, die Situation auch einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten! Wie würde eine Dir wohlwollende Person (Freund, Therapeut) die Situation sehen? Wie wirst Du selbst in Abstand von 20 Jahren das heutige Problem beurteilen? Frage Dich, ob Deine Standards oder Erwartungen realistisch oder übertrieben sind! Manchmal sind wir zu hart mit uns selbst und sollten uns dann selbst verzeihen können.
  3. Lerne aus Fehlern! Nutze Versagen als Chance zum Lernen und Wachsen! Auch wenn Du einen wirklich schweren Fehler gemacht hast, nützt Dir das negative Denken über Dich selbst jetzt nicht. Identifiziere die Gründe für das Scheitern und überlege, wie Du es beim nächsten Mal besser machen kannst! Versuche, es in Zukunft besser und konzentrierter anzugehen! 

Wenn Du diesen Prozess alleine nicht schaffst, lass Dir helfen! 

  1. Selbstmitgefühl: Die innere Haltung zu Dir selbst ist wichtig. Sei freundlich zu Dir selbst! Sprich mit Dir selbst wie mit einem guten, geschätzten Freund! Erinnere Dich immer wieder daran, dass niemand perfekt ist! Das alles ist Selbstmitgefühl! Es hilft dabei, den Druck, der auf Dir lastet, zu verringern und Dein Selbstwertgefühl zu stärken.
  2. Definiere Deine Werte neu! Überdenke deine Definition von Erfolg! Woher kommen Deine Kriterien? Sind es solche, die Dich wirklich voranbringen und Dir helfen, oder erfüllst Du das Bild, das andere von Dir haben? Erfolg muss nicht immer bedeuten, dass du bestimmte Ziele perfekt erreicht hast. Manchmal liegt Erfolg darin, dass Du Dich angestrengt oder dass Du aus deinen Erfahrungen gelernt hast.
  3. Suche Unterstützung! Sprich mit Personen Deines Vertrauens (Freunden, Familie oder einem Therapeuten) über deine Gefühle in Bezug auf Versagens- und Schuldgefühle! Manchmal hilft es, sie mit jemand anderem zu teilen und Unterstützung zu erhalten.
  4. Selbstfürsorge: Kümmere Dich um Deine Bedürfnisse und tue Dinge, die Dir guttun! Das ist kein Egoismus, sondern gesunde Selbstfürsorge. Das kann Sport, Meditation, kreative Aktivitäten, Hobbys oder einfach Zeit für dich selbst sein. Auch angenehme Zeit mit anderen zu verbringen, gehört dazu.
  5. Rückfälle vermeiden oder bewältigen: Wenn Du suchtkrank bist, gehe behutsam und realistisch zugleich mit Dir um! Die Tipps 1 bis 7 können Dir helfen, einen Rückfall zu vermeiden. 

Indem Du diese Strategien jeden Tag anwendest, kannst Du lernen, besser mit Versagensgefühlen umzugehen und deine Resilienz stärken.

Sucht und Versagensgefühle

Versagensgefühle können eine Rolle bei Suchtverhalten spielen, und Sucht kann wiederum Versagensgefühle verstärken. Hier folgt, wie das passieren kann:

Bewältigung von Emotionen: Menschen können dazu neigen, zu Suchtmitteln zu greifen, um unangenehme Emotionen wie Versagensgefühle zu betäuben oder zu vermeiden. Anstatt sich mit den Ursachen der Versagensgefühle auseinanderzusetzen, versuchen sie, diese Gefühle durch den Konsum von Substanzen zu “lindern”.

Verstärkung von Versagensgefühlen: Der Missbrauch von Suchtmitteln kann zu weiteren Problemen und Misserfolgen führen, was wiederum Versagensgefühle verstärken kann. Dies schafft einen Teufelskreis, in dem die Person immer tiefer in die Sucht gerät, um die negativen Gefühle zu betäuben, und dadurch immer mehr negative Erfahrungen macht, die wiederum zu verstärkten Versagensgefühlen führen.

Verringerte Bewältigungsfähigkeiten: Langfristiger Substanzmissbrauch kann die Fähigkeit einer Person beeinträchtigen, angemessen mit Stress umzugehen und positive Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Dadurch werden sie möglicherweise noch anfälliger für Versagensgefühle. Der Substanzkonsum wirkt wie ein Teufelskreis: Das, was damit vertrieben werden sollte, tritt am langen Ende umso stärker ein.

Schuld und Scham: Menschen, die mit Sucht zu kämpfen haben, können sich oft schuldig und beschämt fühlen, insbesondere wenn ihre Sucht zu negativen Konsequenzen für sich selbst oder andere führt. Diese Gefühle können zu einem verstärkten Gefühl des Versagens beitragen, das dann wiederum mit Substanzkonsum bekämpft wird.

Umgang mit anhaltenden Versagensgefühlen bei Suchtkranken

Wenn Versagensgefühle in der Entstehung einer Suchtkrankheit eine große Rolle gespielt haben, ist auch im Nachhinein ihre Bewältigung wichtig, um sich selbst besser kennenzulernen, sich besser steuern zu können und vor allem um Rückfallgefahren zu reduzieren. Die Überwindung chronischer Versagensgefühle erfordert gerade bei Suchtkranken Zeit, Geduld und Arbeit an sich selbst mit Mut zur Wahrheit und Klarheit. Hier sind einige, die helfen können, chronische Versagensgefühle zu bewältigen:

  1. Identifiziere negative Gedankenmuster! Achte auf wiederkehrende negative Gedanken oder Überzeugungen über Dich selbst und Deine Fähigkeiten! Sobald du diese identifiziert hast, kannst Du beginnen, sie zu hinterfragen und zu verändern. 
  2. Arbeite an deinem Selbstwertgefühl! Stärke Dein Selbstwertgefühl, indem Du Dich auf Deine Stärken und Erfolge konzentrierst! Führe ein Erfolgsjournal, in dem Du Deine Erfolge festhältst, egal wie klein sie Dir auch erscheinen mögen! Beziehe die Bewältigung Deiner Suchterkrankung und von Rückfallsituationen mit ein!
  3. Setze realistische Ziele! Nur realistische Ziele sind realisierbar. Setze Dir Ziele im Alltag und für Dein Leben insgesamt, die herausfordernd, sinnvoll, aber erreichbar sind! Wenn Ziele zu unrealistisch sind, kann dies zu einem verstärkten Gefühl des Versagens und neuerlichem Substanzkonsum führen.
  4. Unterteile Aufgaben in kleine Schritte! Teile große Aufgaben in kleinere, leichter zu bewältigende Schritte auf! Das Erreichen dieser kleinen Ziele kann dazu beitragen, das Gefühl Deiner Selbstwirksamkeit zu steigern. Erledige an jedem Tag kleine Schritte, so viele Du kannst, anstatt Dich mit übermäßig großen Anforderungen zu überfordern!
  5. Arbeite an Deiner Selbstakzeptanz! Akzeptiere, dass niemand perfekt ist und dass Fehler und Misserfolge Teil des Lebens – und auch Deines Lebens – sind! Erlaube Dir selbst, menschlich zu sein und Fehler zu machen, ohne Dich dafür zu verurteilen!
  6. Entwickle Bewältigungsstrategien! Finde neue, gesunde Bewältigungsstrategien, die Dir helfen, mit Stress, negativen Emotionen und Deiner Suchtumzugehen! Das können Aktivitäten wie Sport, Meditation, Yoga oder das Gespräch mit einer vertrauten und vertrauensvollen Person oder einem Therapeuten sein.
  7. Suche professionelle Hilfe! Wenn chronische Versagensgefühle dein Leben stark beeinträchtigen oder du Schwierigkeiten hast, sie alleine zu bewältigen, solltest Du professionelle Hilfe in Betracht ziehen! Ein Therapeut kann dir dabei helfen, die zugrunde liegenden Ursachen zu identifizieren und wirksame Bewältigungsstrategien zu entwickeln.

Die Überwindung chronischer Versagensgefühle ist ein Prozess, der Zeit und Anstrengung erfordert. Sei geduldig mit Dir selbst und feiere jeden Fortschritt, den Du machst, auf dem Weg zur Bewältigung dieser Gefühle.

Abschließende Hinweise

Versagensgefühle sind hochgradig subjektiv und Spiegel der Persönlichkeit. Mit zunehmendem Selbstwertgefühl lassen sie nach. Oft resultieren sie aus einem übertriebenen Perfektionismus sich selbst gegenüber, den man unbedingt abbauen sollte. Ansonsten drohen Teufelskreise aus Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen, die einen immer weiter runterziehen und auch die Betäubung mit Suchtmitteln nahelegen. Fehler sind keine Katastrophe. Menschen sind fehlbar. Wenn wir Fehlern, die wir in der Vergangenheit begangen hat, durch dauerhafte Versagensgefühle Macht über uns geben, schädigen wir uns am Ende am meisten. Sich selbst vergeben können, ist eine hohe Kunst, aber auch eine wichtige Voraussetzung für eine Verbesserung. 

Drei abschließende Regeln:

1. Lass´ Dir nicht sagen, wie Du zu sein hast! Lass´ Dich nicht fremdbestimmen, was Deine Ziele und Werte angeht, es sei denn, Du wirst gut beraten und nicht manipuliert. 

2. Sich selbst zu verzeihen, wenn Du aus negativen, übermäßigen Gefühlen der Abwertung Dir selbst gegenüber nicht mehr rauskommst, ist das Beste, was Du tun kannst für Dich!

3. Substanzen helfen nicht! Ihre Wirkung ist zu kurz, der langfristige Schaden zu hoch. Am Ende verstärken sie noch Deine Versagensgefühle. Schluss damit!

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