Sucht bei Männern – Das riskante Geschlecht? Teil II – Die Risikofaktoren

Sucht ist die häufigste psychische Störung bei Männern, was den Eindruck nahelegt, dass besondere Risiken für Männer bestehen. Dementsprechend scheinen sich Männer aber auch als das riskante Geschlecht hinsichtlich Alkohol- und Drogenkonsum zu verhalten. Aber ist dies wirklich so, welche Risikofaktoren weisen Männer im Unterschied zu Frauen auf und wie sind die hohen Zahlen hinsichtlich Suchtentwicklung und Suchterkrankungen bei Männern zu erklären? Im zweiten Teil dieses Berichts werden die Ursachen für die häufigere Suchtentstehung bei Männern behandelt. Vor dem Hintergrund des biopsychosozialen Modells, das ganz allgemein die Risiken für die Entstehung psychischer Störungen beschreibt, geht es im Folgenden darum, welche männerspezifischen Merkmale die Sucht bei Männern so häufig machen. Dafür werden im Rahmen von elf Themenbereichen die wichtigsten Ergebnisse aus Forschung und Praxis dargestellt.

Elf Risikobereiche für Sucht, die Männer kennen sollten

Die biopsychosoziale Forschung hat in den letzten Jahren etliche Resultate geliefert, um die Entstehung von Suchtstörungen bei Männern besser zu verstehen. Langfristig sollten daraus bessere Präventions- und Interventionsprogramme entstehen, die neben den allgemein wichtigen Behandlungsansätzen auch geschlechtsspezifische Ansätze umfassen. Im Folgenden werden elf mögliche Ursachen für die hohen Suchtprävalenzen bei Männern aufgelistet, die einzeln, aber auch in Kombination auftreten können:

(1) Biologische Besonderheiten und Risiken

Männer sind biologisch und körperlich anders als Frauen (siehe mehr dazu unter „Psychobiologie des Mannes und des männlichen Gehirns“). Dies wird heutzutage in den Sozial- und Genderwissenschaften gerne geleugnet, obwohl gerade letztere es besser wissen müssten. Eine naturwissenschaftlich orientierte Sichtweise, die psychosoziale Aspekte nicht ausklammert, kommt zu klaren Ergebnissen jenseits ideologisch überfrachteter Pseudowissenschaft: In Bezug auf die Risiken für Suchterkrankungen sind eine Reihe grundlegender, meist genetisch bedingter Unterschiede zwischen den Geschlechtern bekannt.

Zum einen vertragen Männer mehr Alkohol als Frauen, weil bei ihnen der Wasser-Fett-Anteil im Körper anders ist. Männer haben relativ gesehen mehr Körperwasser, in dem sich der Alkohol verteilen kann und entwickeln dadurch langsamer bei Alkoholkonsum eine Intoxikation. Außerdem wurde für eine Subgruppe von Männern nachgewiesen, dass sie erblich bedingt Alkohol schneller verstoffwechseln als Frauen und andere Männer. Dieses als bessere Alkoholreagibilität – oder verallgemeinernd – „angeborene Alkoholtoleranz“ benannte Phänomen führt jedoch im Alltag dazu, dass Jungen mit dieser biologischen Besonderheit, die mit dem Alkoholkonsum einsteigen, mehr Alkohol trinken als andere. Zu weiteren geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Alkohol- und Drogenverstoffwechselung wird noch geforscht. Für Jugendliche, die bei ihren ersten Konsumerfahrungen den Alkohol besser vertragen als andere, heißt dies, dass sie besonders sensibel und kontrolliert damit umgehen sollten, um eine spätere Abhängigkeit zu vermeiden. Dieses Wissen sollte durch die Gesellschaft (Medien, Schule) und die Eltern frühzeitig vermittelt werden. 

(2) Die klassische Männerrolle

Die klassische Männerrolle, wie sie sich aus den seit Jahrhunderten bestehenden Mustern insbesondere in der Industrialisierung im 19. Jahrhundert entwickelt hat, besteht aus Härte gegen sich und andere, Nicht-Wahrnehmung oder Verleugnung der eigenen Bedürfnisse, Gefühlsunterdrückung und Rücksichtslosigkeit gegenüber dem eigenen Körper, übermäßige Risikobereitschaft, Dominanzstreben und Führungsanspruch. Viele negative Verhaltenskonsequenzen gehören zu der klassischen Rolle, wie vor allem Unberechenbarkeit, Verschlossenheit, Gewalttätigkeit, Impulsivität und Exzessivität. Diese Rolle im Sinne einer Monokultur hat auch für Männer selbst viele Nachteile und wird mit mehr chronischen Erkrankungen und kürzerer Lebensdauer assoziiert. 

An positiven Eigenschaften wird Männern schon lange Souveränität, Stärke, Kraft, Beschützeraufgabe, Rationalität, Neugierde und Mut zugeschrieben. Es zeigt sich schnell, dass es nicht ratsam wäre, diese positiven Anteile im Zuge einer neuen Rollendefinition aufzugeben. Sie sollten erhalten bleiben und in neue Rollenmuster eingebunden werden. Es kann daher auch nicht darum gehen, den Mann im 21. Jahrhundert durch Gleichschaltung oder vermeintliche Gleichstellung der Frauen zu einer besseren Frau zu machen. Bei allem berechtigtem Streben nach Gleichberechtigung müssen die biologischen und psychologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen erhalten bleiben und für jedes Geschlecht kreativ nutzbar gemacht werden. 

Es geht also um eine organische Weiterentwicklung der Eigenschaften und Rollen von Männern, damit diese das Leben in der modernen postindustriellen Gesellschaft mit mehr Anforderungen hinsichtlich Empathie, Emotionsregulation und partnerschaftlicher Kommunikation gelingend gestalten können. Dazu gehört auch der reflektierte, situationsangepasste Umgang mit psychotropen Substanzen, um den es im Folgenden geht. Männer sollten nicht mehr automatisch als das Geschlecht gelten müssen, das zu locker und oft besinnungslos mit Alkohol und anderen Drogen umgeht. 

Selbstschädigung und Selbstaufopferung im Zuge der klassischen Männerrolle

Durch Sozialisation in die klassische Männerrolle hat sich bislang das Risiko, bei Problemen psychotrope Substanzen einzusetzen, um sich selbst entsprechend den Rollenanforderungen zu manipulieren, erhöht. Noch nie waren die Zahlen für von Suchtstörungen betroffenen Männer so hoch wie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge der Industrialisierung und des Elendsproletariats. Zu den selbstmanipulativen Rollenanforderungen, die seit dieser Zeit verstärkt aufkamen, gehörten, Gefühle von Trauer und Schmerz zu unterdrücken, Depression mit Alkohol oder Drogen zu behandeln, Ängste zu verleugnen und sich übermäßig autark zu geben. Männer haben es oft nicht gelernt oder schämen sich dafür, über die Anstrengungen und Stressgefühle, die ihnen die klassische Männerrolle bereitet, zu sprechen.

Sie sind es gewöhnt, herunterzuschlucken, still zu bleiben oder abzulenken. So kam es, dass sich Männer im Zuge der Männerrolle in der industrialisierten Gesellschaft immer mehr den Rollenzwängen als Ernährer und Geldbeschaffer unterordneten und Verhaltensmuster von Selbstschädigung und Selbstaufopferung entwickelten. Schon seit vielen Jahrhunderten waren sie erzogen worden, sich selbst als „Kanonenfutter“ für Feudalherrscher, Diktatoren oder Oligarchen aufzuopfern. Dazu gehörte auch, sich als Soldat für die sinnlosen Kriege im 20. Jahrhundert verheizen zu lassen. 

Männer müssen lernen, ihre Tendenz zur Selbstvernachlässigung zu überwinden 

Daraus entwickelten sie ein Rollenmuster der Selbstvernachlässigung, das – auch biologisch-evolutionär begründet – in dem Slogan „Frauen und Kinder zuerst“ mündete. Diese Gentleman-Haltung wird Männern heutzutage im Zeitalter des Feminismus nicht mehr goutiert. Deshalb gehört zur Emanzipation des postmodernen Mannes auch die Befreiung von diesem überholten Rollenmuster, zumindest was Frauen angeht. Der Feminismus befreit Männer nicht, sondern marginalisiert sie.

Seit dem Siegeszug des Feminismus in Politik und Medien kommt hinzu, dass Männer immer stärker einem Negativbild (Abwertung, Verunglimpfung) im Zuge der Ideologie der toxischen Männlichkeit unterliegen (siehe ausführlicher „Stimmung machen gegen Männer als Geschäftsmodell – toxische Männlichkeit und die gesellschaftliche Realität“). Der postmoderne Mann erlebt zunehmende Ressentiments gegenüber dem Männlichen an sich und den meisten Formen der Männlichkeit. Der postmoderne Feminismus bietet den Männern kein adäquates Befreiungsangebot, sondern versucht sie via „Gleichstellung“ faktisch durch Gleichschaltung den emanzipierten Frauen ähnlich bis identisch zu machen. Auf die negative Darstellung in Medien und Öffentlichkeit und den faktisch antiemanizipatorischen Veränderungsdruck reagieren viele Männer verdeckt oder offen mit Ärger, Schuldgefühlen und Groll. Diese Gefühle dürfen wiederum nicht gezeigt werden, da der Mann sich fürchten muss, wegen seiner Reaktionen gesellschaftliche Ablehnung oder weitere Ächtung zu erfahren oder lächerlich gemacht zu werden, wie die Darstellung von Männern in Werbung und Fernsehproduktionen zeigt.

„Doing gender with drugs“ – Es braucht neue Wege zum Umgang mit sich selbst und mit Substanzen

Durch das trainierte und tief verankerte männliche Alltagsverhalten wird die Geschlechterrolle immer wieder neu hervorgebracht oder bestätigt, etwa durch besonders riskantes Verhalten, mangelnde Sensibilität für sich selbst oder Selbstvernachlässigung. Dies zeigt sich nicht nur an den zuvor beschriebenen Tendenzen zur unkritischen Anpassung an feministischen Veränderungsdruck, sondern auch auch durch übermäßigen Alkohol- oder Drogenmissbrauch bei Männern in Situationen, in denen ein Mehr an Gefühlswahrnehmung und –ausdruck wichtig wäre.

„Doing gender with drugs“, heißt dann, als Mann, so wie es jemand in der klassischen Rolle gelernt hat, Gefühle mit Alkohol zu unterdrücken, Stress mit Drogen zu bekämpfen statt den Umgang damit zu verändern und sich selbst zu schädigen und sich nicht zu helfen oder helfen zu lassen. Die kurzfristig wirksame und langfristig schädliche Wesensveränderung mit Substanzkonsum passt zur Strategie, sich stets fit und stark und keine Schwächen zu zeigen. Indem Männer wenig klagsam und sensibel für die eigenen Gefühle sind, schädigen sie sich durch Selbstvernachlässigung und mangelnde Selbstfürsorge. Durch den exzessiven Substanzkonsum in Stress- und Problemsituationen werden riskante Verhaltensweisen verstärkt und Ängste reduziert, die grundsätzlich schützende Funktionen aufweisen. Riskantes und antisoziales Verhalten wird stärker gebahnt. Aber auch der unsensible Umgang mit dem eigenen Körper in Form von chronischer Überforderung oder Ignorieren von Schmerzen und negativen Befindlichkeiten gehören zur klassischen Männerrolle. 

Doch seit Jahren zeichnen sich Veränderungen der klassischen Männerrolle ab. Schon 2009 sahen sich 55% der deutschen Männer in der Männerstudie von Volz & Zulehner (2009) als suchend oder balancierend zwischen traditionellen und modernen Werten. Inzwischen hat sich dieses Pendeln zwischen alten und neuen Rollenanteilen noch verstärkt. Am ehesten ist davon auszugehen, dass eine Koexistenz zwischen alten und neuen Rollenanteile sich durchsetzen wird. Zur neuen Rolle gehören mehr aktive Vaterschaft, mehr Interesse an den eigenen Gefühlen, mehr freizeitbezogene Aktivitäten, mehr körperbezogene Achtsamkeit und Fürsorge. 

(3) Risikofreude, Neugierde, Reizhunger

Zum evolutionären Erbe des Mannseins und in der Folge auch zur Männerrolle gehört der Reiz am Neuen, am Risiko („Thrill“), die Lust an der Exploration und die Suche nach immer weiteren Herausforderungen. Männer zeigen in allen relevanten Kontext extremere Verhaltensweisen, weniger Ängstlichkeit, mehr Grenzen testende Verhaltensweisen. Diese Verhaltensweisen stellen eine Mischung aus kindlicher Neugierde, Lebensfreude und Abenteuerlust dar. Sie sind bei Jungen häufiger als bei Mädchen zu finden und wurzeln auch auf biologischen und genetischen Ursachen (vgl. „Männerleben und Männersein – über männliche Identität“).

Das stärkere Vorhandensein von Testosteron schon bei Jungen und in hohem Maße ab der Pubertät begleitet und bahnt diese „typisch männlichen“ Verhaltensweisen. Der Konsum von Suchtmitteln im Kontext mit Risikoverhalten macht durchaus Sinn: Denn Suchtmittel, insbesondere Stimulantien wie Kokain und Amphetamin, steigern die Risikobereitschaft. Sedativa wie Alkohol oder Cannabis beruhigen die Angst, die bei riskantem Verhalten oft mit einhergeht. Insofern ist verständlich, dass gerade männliche Jugendliche bei ihrem riskanten Verhalten Substanzen mit den genannten Wirkungserwartungen einsetzen. 

Auch bei Glücksspielsucht und Pornosucht – bei Männern häufige Formen von Verhaltenssüchten – sind es im Vorfeld Neugier, Reizhunger und Risikobereitschaft, die Männer zum regelmäßigen Verhalten und dem Verlangen nach mehr führen. Durch die Gewöhnung an den Konsum von Substanzen oder riskanter Verhaltensweisen werden die dopaminergen Gehirnfunktionen gekapert, fremdbestimmt und der Konsument verliert die Kontrolle über die eigenen Verhaltensabläufe. Daraus kann sich durch Lernprozesse (klassisches und instrumentelles Konditionieren), Gewöhnung und Wiederholungsprozesse schleichend eine Suchterkrankung entwickeln, die auch mit vielfältigen kognitiven Abwehrprozessen einhergeht (vgl. „Sucht als Wahrnehmungs- und Denkstörung: Kognitive Abwehr und Verzerrungen bei Suchtstörungen“).

Männer zeigen im Zusammenhang mit Suchtmitteln typische Verhaltensmuster, die bei Frauen kaum bekannt sind: Neben dem Reizhunger (novelty seeking, sensation seeking) gehören dazu auch eine niedrige Belohnungsabhängigkeit (Männer lassen sich schlechter durch soziale Konsequenzen in ihrem Verhalten steuern) und eine niedrige Schadensvermeidung (Männer werden durch drohende Schäden, Verletzungen und Unfälle in ihrem Verhalten weniger beeinflusst). Die Trias aus hohem Reizhunger, niedriger Belohnungsabhängigkeit und niedriger Schadensvermeidung ist typisch bei der Suchtentwicklung vieler, vor allem junger Männer.

(4) Eskapismus

Viele Menschen konsumieren Substanzen, weil sie ihrer als unerträglich erlebten Realität entfliehen wollen. Waren dies früher besonders elende soziale Verhältnisse („Elendsalkoholismus“ im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert), sind es heutzutage die dystopischen intrapsychischen Welten vieler Menschen. Dies trifft auch auf Männer zu und kann durch ihre intrapsychische Situation (Depression, Angst) oder ihre soziale Lage (Arbeitslosigkeit, Einsamkeit) verursacht werden. Oft geschieht dies ohne bewusste Intention, sondern durch die automatisch auftretende Wirkung der Substanzen nach deren Konsum. Es handelt sich initial oft um implizite Lernprozesse in der Jugend und im frühen Erwachsenenalter.

Die Suchtmittel helfen beim Abschalten, Vergessen und Verdrängen. Eskapismus kann vom Trinken zum Vergessen unangenehmer täglicher Erfahrungen bis hin zum extremen, völlig betäubenden Betrinken reichen. Bei letztgenanntem Verhalten steht nicht selten eine psychologische Traumatisierung im Hintergrund, die verdrängt und vollständig vergessen sein kann. Wenn die betäubende Wirkung des Alkohols nicht mehr ausreicht können auch stärkere sedierende Substanzen (vor allem Benzodiazepine, Opioide) zum Einsatz kommen. Die Ursprungsmotive zum Einsatz der Substanzen kehren nicht selten nach Jahren des exzessiven Konsums in Form intensivierter Symptomatik umso stärker zurück.

Dieses, auch als Teufelskreis der Sucht oder „Boomerang-Effekt“, bezeichnete Phänomen verdeutlicht, dass ein eskapistischer Substanzkonsum immer nur zeitlich begrenzt helfen kann, aber keine Lösung des Grundkonflikts darstellt. Letzten Endes verstärkt der eskapistische Substanzkonsum die Selbsttäuschung und Verzerrung der Realitätswahrnehmung (vgl. „Sucht als Wahrnehmungs- und Denkstörung: Kognitive Abwehr und Verzerrungen bei Suchtstörungen“). Flucht vor unbewussten intrapsychischen Problemen erweist sich am Ende als ungeeignet und ist langfristig als dysfunktional, d.h. nicht hilfreich, sondern noch stärker schädigend, einzuschätzen. 

(5) Peer-Druck, Konformität, Zugehörigkeit 

Gerade für jüngere Männer ist die Zugehörigkeit zu Gruppen von großer Bedeutung. Dies bringt Akzeptanz, Selbstwerterhöhung und sozialen Status mit sich. Oft bestehen in diesen Gruppen aber substanzkonsumierende Verhaltensweisen, bisweilen auch gepaart mit deviantem Verhalten. Dann hängt die Akzeptanz durch die Gruppe von der Bereitschaft zum Mitmachen und zum Konformismus ab. Will der Jugendliche dazugehören, muss er die Regeln und Anforderungen der Gruppe befolgen, sonst droht Ausschluss. Dadurch entsteht ein hoher Gruppendruck hinsichtlich Unterordnung und Konformismus. Es bedarf eines hohen Ausmaßes an Selbstwertgefühl und Zivilcourage, dem Gruppendruck zu widerstehen.

Gerade Jungen, die jünger sind als die meisten Gruppenmitglieder versuchen dann durch übertriebenes Verhalten (Substanzkonsum, Mutproben), ihre Zugehörigkeit zu sichern und ihren Status zu erhöhen. Es gilt für Jugendliche und junge Männer, Akzeptanz über andere Wege als Substanzkonsum und deviantes Verhalten zu erlangen. Dies kann in Sport, prosozialen Verhaltensweisen und gesellschaftlichem Engagement bestehen.

(6) Angst, Depression und Selbstwertprobleme 

Viele Männer unterdrücken Anzeichen emotionaler Probleme frühzeitig durch übermäßigen Substanzkonsum. Sie wissen oft nicht mit negativen Emotionen umzugehen, fühlen sich dadurch verunsichert oder bedroht und wehren die Symptome im Vorfeld durch die sedierende oder stimulierende Wirkung von Substanzen ab. Möglicherweise haben sie im Vorfeld als Junge auch nie gelernt, ihre Emotionen zu „lesen“ und können sie daher nicht differenziert einschätzen und sich nicht dementsprechend äußern. Sie wissen dann oft gar nicht, was ihre Grundbedürfnisse und Probleme sind, weil sie dies zu intensiv und frühzeitig abgewehrt haben. Ihr Selbstwertgefühl ist instabil oder unzureichend entwickelt, insbesondere wenn sie zu wenig Sicherheit und Bindung durch ihren Vater erfahren haben.

Vielfach fehlt ihnen aus Kindheit und Jugend heraus ein väterliches Rollenmodell zur Emotionsbewältigung oder sie halten es durch ein dysfunktionales Vatermodell für normal, negative Emotionen durch Substanzen zu verdrängen. Nicht wenige substanzsüchtige Männer sind ohne Vater oder mit einem hochgradig problematischen – weil suchtkranken, gewalttätigen oder psychisch kranken – Vater aufgewachsen. Hier gilt es, im Erwachsenenalter die Beziehung zu den eigenen Emotionen zu lernen, Substanzkonsum zu reduzieren und in eine gesunde Balance mit den eigenen Bedürfnissen (Selbstwertgefühl, Anerkennung, Lust, Entspannung) zu kommen. Dabei kann auch Selbsterfahrung als Mann oder eine Psychotherapie helfen.

(7) Stressreduktion

Viele Menschen benutzen Suchtmittel, um Alltagsstress – insbesondere im Beruf und in der Familie – zu reduzieren. Der Ablauf dabei ist einfach: Alkohol, Tabak und andere Substanzen erzeugen schnell eine stressreduzierende Wirkung, die zu Entspannung, mehr Ruhe und Gelassenheit führt. Sie ersetzen schnell und einfach Anforderungen an eine andere gelingende Methode der Stressreduktion. Alkohol und Cannabis werden oft auch gezielt als Schlafmittel eingesetzt. Sie helfen zwar beim Einschlafen, sind aber schlechte Durchschlafmittel, so dass auf längere Sicht durch ihren Konsum verstärkt Schlafstörungen entstehen können. Gerade Männer, die oft chronischen Stress in Beruf und Familie erleben, gewöhnen sich schnell daran, Alkohol als Stressreduktionsmittel einzusetzen, nach Feierabend und vorm Schlafengehen. Dabei kann Gewöhnung und später auch Sucht entstehen.

Der Prozess verläuft meist schleichend und wird zu spät erkannt, weil die Probleme und Konsequenzen des realen Verhaltens kognitiv verzerrt wahrgenommen und verarbeitet werden. Dies geschieht einerseits durch die sedierenden Effekte der konsumierten Substanzen, andererseits weil aufgrund der auftretenden Kontrollverluste starke Schamgefühle entstehen, die eine adäquate, kritische Wahrnehmung der Schädlichkeit des eigenen Verhaltens erschweren. 

Auf die lange Sicht ist ein Übermaß an Alkoholkonsum zur Stressreduktion schädlich und kontraproduktiv. Männer sollten zur Stressreduktion andere Methoden einsetzen (z.B. regelmäßiger Sport, auch regelmäßige Bewegung kann schon helfen) oder neue Methoden erlernen (z.B. Entspannung, Meditation). Oft sind auch Wohlfühlmethoden an sich schon hilfreich, wie etwa Kurzschlaf („nap“), kurze Wohlfühlphantasien, Duschen, Massage, positive Selbstgespräche usw. Als Quintessenz lässt sich festhalten: Obwohl Alkohol und andere Substanzen kurzfristig für Stressreduktion sorgen, sollten sie dafür nicht regelhaft eingesetzt werden, weil längerfristig die Nachteile überwiegen. Die langfristigen Folgen übertreffen die kurzfristigen Vorteile bei Weitem. Alkohol sollte zu Genusszwecken bestenfalls in geringen Mengen bis 30g (bei Männern) an höchsten 2-3 Tagen in der Woche eingesetzt werden, so die gültige WHO-Empfehlung. 

(8) Erleichterungskreislauf: Minderwertigkeitsgefühl – Scham – Konsum – Aufwertungsgefühl

Im Kontext mit exzessivem Alkoholkonsum findet sich bei Männern häufig ein Kreislauf, an dessen Anfang ein negatives selbstwertbezogenes Problem, wie etwa Minderwertigkeitsgefühl oder Selbstabwertung, steht. Dieses wird abgewehrt und verleugnet (siehe Abschnitt 4), im Hintergrund steht dabei ein nicht deutlich oder gar nicht wahrgenommenes Gefühl der Scham. Das Schamgefühl rührt daher, dass der Mann gelernt hat (siehe Abschnitt 2), Schwächen nicht zuzulassen und automatisch abzuwehren. Wenn der Mann die Erfahrung macht, dass die Abwehr negativer Emotionen und selbstbezogener Kognitionen mit Alkohol und Drogen viel besser gelingt, wird dies in die Verhaltenskreisläufe integriert.

Auf diffuses unangenehmes Befinden wird dann routineartig mit Alkohol- oder Drogenkonsum reagiert und es setzt kurzfristig eine Verbesserung der Befindlichkeit ein. Dies ist jedoch trügerisch, weil es nicht zu einer dauerhaften Verbesserung kommt. Es entwickelt sich ein automatisierter Kreislauf: Schlechte Befindlichkeit führt zu Konsum. Dies wird nicht reflektiert oder problematisiert. Daraufhin folgt schnell Erleichterung, Stressreduktion und ein besseres selbstbezogenes Gefühl. Dies sorgt dafür, dass die selbstbezogenen Kognitionen positiver werden und das Selbstwertgefühl ansteigt. Die Alkohol- und Drogenwirkung gaukelt also durch Veränderung der emotionalen und kognitiven Befindlichkeit eine Verbesserung der gesamten Lebenssituation vor.

Diese Veränderung hält natürlich nur so lange an, wie die Substanzwirkung im Organismus vorhanden ist. Danach folgen wieder negative Gefühle und Gedanken, oft noch stärker als zuvor, und der Betroffene muss erneut konsumieren, um den verbesserten Zustand zu erreichen. Es entsteht ein Erleichterungskreislauf, der immer häufiger und stärker durchlaufen werden muss. Am Ende – oft erst nach Jahren – steht neben der totalen Abhängigkeit von den Suchtmitteln (Substanzen oder Verhalten) eine noch schlechtere Befindlichkeit als zu Beginn des erhöhten Konsums. Der Teufelskreis der Sucht liegt vor (siehe Abschnitt 4). Männer tun sich besonders schwer, diesen Teufelskreis und die zerstörerische Wirkung auf sie zu erkennen. Dies wiederum hängt mit der Unfähigkeit, Schwäche zu zeigen und sich Hilfe gegenüber zu öffnen, zusammen

(9) Soziale Kompetenz- und Interaktionsprobleme

Für viele Männer sind soziale Probleme der Auslöser für Substanzkonsum. Zugehörigkeit, Geselligkeit, Akzeptanz durch andere sind wichtige Motive im Leben der meisten Menschen. Oft ist es auch der Druck, unbedingt zu einer Gruppe gehören zu wollen (siehe Abschnitt 5). Werden diese Bedürfnisse nach Geselligkeit und Zugehörigkeit nicht befriedigt, z.B. weil Hemmungen, Schüchternheit und soziale Ängste vorherrschen und eine Person diese nicht überwinden kann, helfen besonders Alkohol und Tabak bei der Überwindung der Barrieren. Diesen sozial-funktionalen Einsatz von Substanzen betreiben vor allem Männer.

An Tresen in Kneipen oder in Bars zu sitzen und unter Einfluss von Alkohol zunehmend ungehemmter zu werden, ist ein traditionelles männertypisches Verhalten (siehe Abschnitt 2), was auch mit dem klassischen Rollenmodell und dem Streben nach Selbstwertsteigerung zusammenhängt. Gesellschaftlich sind Introversion und Schüchternheit immer mehr negativ besetzt, bisweilen sogar stigmatisiert. Dadurch steigt der Druck zum „Mitmachen“. In früheren Zeiten war es das Zuprosten, das zu immensen Alkoholproblemen unter Männern geführt hat.

Heutzutage ist es häufig der „Peer-Druck“, einer Gruppe oder Gemeinschaft zugehörig zu sein. Um dazuzugehören muss der einzelne sich den Gruppennormen, auch in Bezug auf Trinken und Trinkmengen, unterordnen. Es herrschen dann Befürchtungen, nicht mehr akzeptiert zu werden oder gar aus der Gruppe ausgestoßen zu werden, wenn man sich den offenen oder verdeckt herrschenden Regeln nicht unterordnet. Für Menschen mit introvertierten oder sozial ängstlichen Persönlichkeitszügen wirkt Alkohol besonders enthemmend, so dass er oft implizit zur Wesens- und Persönlichkeitsveränderung benutzt wird. Sie erleben, dass sie nur unter Alkohol- und Drogeneinfluss von anderen akzeptiert und geschätzt werden. Der Weg sollte jedoch über die Selbstakzeptanz und die Veränderung des eigenen sozialen Verhaltens, z.B. Steigerung der sozialen Kompetenz, führen. 

(10) Einsamkeit als Risikofaktor für Sucht 

Eine extreme Form sozialer oder emotionaler Problemlagen ist Einsamkeit. Wenn Menschen altern, erleben sie immer mehr subjektive Einsamkeit. 11 % bis 30 % der Menschen im mittleren Alter (zwischen 21 und 50 Jahren) und 40 % bis 50 % der über 80-Jährigen fühlen sich „manchmal“ bis „oft“ einsam. Risikofaktoren, die zu Einsamkeit beitragen können, treten häufiger auf, wenn Menschen älter werden. Diese Risikofaktoren sind der Verlust von Arbeit, Unabhängigkeit, Mobilität und der Tod von nahestehenden Personen. Ein weiterer Faktor ist Stress aufgrund finanzieller Einbußen, die das Rentenalter mit sich bringen kann. Natürlich erleben auch jüngere Menschen oft quälende Formen von Einsamkeit.

Zur Ablenkung oder Beruhigung sowie zum Stillen von Langeweile greifen jüngere wie ältere Menschen – und hier besonders Männer – zum Alkohol. Einsamkeitsforscher beschreiben schon lange, dass Einsamkeit besonders häufig bei Männern mit einem ungesunden Lebensstil, wie Rauchen oder Alkoholkonsum, einhergeht. Die Abnahme motorischer Fähigkeiten im Alter führt zusätzlich zu erhöhter Isolation, da die Menschen an ihre häusliche Umgebung gebunden sind. Außerdem stehen Depressionen und Angststörungen im Zusammenhang mit Einsamkeit. Einsamkeit wird zudem mit der Entstehung von Demenz assoziiert. Es wird unterschieden zwischen sozialer Einsamkeit, also dem Fehlen von Freunden und einer Gruppenzugehörigkeit, sowie emotionaler Einsamkeit, welche als das Fehlen von tiefen Bindungen zu nahestehenden Personen verstanden wird.

Soziale Einsamkeit wird vor allem bei Männern festgestellt und bei Personen, die ein geringeres allgemeines Aktivitätslevel aufweisen. Beide Formen von Einsamkeit resultieren häufig aus Verlusterlebnissen (schmerzhafte Trennungen, Todesfälle, aber auch Arbeitsplatz- und Wohnungsverlust), aufgrund eines geminderten Selbstwertgefühls oder aufgrund von finanziellen und sozioökonomischen Problemen. Demzufolge kann man den Schluss ziehen, dass ältere Menschen aufgrund ihrer Lebensverhältnisse ein erhöhtes Risiko aufweisen, Einsamkeit zu erleben und diesbezügliche Probleme zu entwickeln. Einsamkeit bei Männern hängt besonders eng mit erhöhtem Alkoholkonsum zusammen. Zur Bewältigung von alkoholassoziierten Einsamkeitsproblemen bei Männern bedarf es proaktiver Ansprache durch das Umfeld, Angebote zur Verbesserung der sozialen Situation und der Soziabilität. Im Falle emotionaler Einsamkeit in Verbindung mit Suchtproblemen sollte auf jeden Fall eine Psychotherapie erwogen werden.  

(11) Abhängigkeits-Autonomiekonflikt 

Männer weisen oft ein intrapsychisches Muster auf, einerseits sehr hohe Autonomie leben zu wollen, andererseits aber eine Sehnsucht nach engen, bisweilen symbiotischen Beziehungen zu hegen. Sie pendeln in ihrem Verhalten zwischen diesen Polen und finden dann keine stabile Balance, insbesondere wenn sie keine Partnerschaft haben oder ihre Partnerin andere Beziehungswünsche an sie hat. Dieser innere Konflikt, der auch als Abhängigkeits-Autonomiekonflikt (AAK) oder neuerdings auch als Individuation-Abhängigkeitskonflikt bezeichnet wird, taucht besonders oft bei suchtkranken Männern auf.

Der Abhängigkeits-Autonomiekonflikt: Ein häufiges intrapsychisches Muster bei Männern

Der Abhängigkeits-Autonomiekonflikt bezieht sich auf die Suche nach Bindung und Beziehung einerseits und das Streben nach Unabhängigkeit und Autonomie andererseits. Letzteres kann sich auch in Angst vor Verantwortung zeigen. Dieser Konflikt ist ein lebensbestimmendes Thema, überragt alle anderen Konflikte und kann zu einem dauerhaften intrapsychischen Stress führen, wenn der Konflikt nicht aufgelöst wird. 

Auf der einen Seite kann eine große Angst bestehen, dass eine wichtige Bindung zerbricht. Männer haben sich dann auf eine Abhängigkeit erzeugende Beziehung mit einer starken dominanten Frau eingelassen. Ihren Wunsch nach Autonomie nehmen sie gar nicht oder zu spät wahr. Oft sind sie bereit, ihre Bedürfnisse denen der Partnerin völlig unterzuordnen. Die eigenen Bedürfnisse sind dann weniger wichtig, sie sind bereit, sich selbst nicht wichtig zu nehmen oder zu vernachlässigen. In diesem Verhaltensmodus spielen Männer eher den passiven Part, sind dependent und unterwürfig und zeigen keine eigene Meinung (passiver Modus). 

Im gegenteiligen Modus ist das wichtigste Ziel im Leben jederzeit das Herstellen und Erhalten einer emotionalen und existentiellen Unabhängigkeit. Das Bedürfnis nach Bindung, Anlehnung und Unterstützung wird weitgehend unterdrückt oder verleugnet. In diesem, aktiven Modus wollen Männer jederzeit die Kontrolle über alle Abläufe und Geschehnisse und fürchten allzu enge Bindungen, weil sie dann die Kontrolle über sich selbst verlieren könnten. 

Normalerweise erleben Kinder im 2. und 3. Lebensjahr die Spannung zwischen den beiden Verhaltenspolen von Autonomie und Abhängigkeit. Wenn das Kind in dieser Zeit nicht genügend Möglichkeiten zur Autonomie erfahren hat oder andererseits zu wenig Bindung und Bestätigung erfahren hat, kann sich ein Grundkonflikt verfestigen, der sich auch in späteren Beziehungen und in den lebensbestimmenden Grundmotiven zeigt. Der Konflikt kann sich im Erwachsenenalter in Nähe-Distanzregulationsproblemen zeigen. 

Für Männer, die sich nicht genügend Distanz verschaffen können, läuft es wie folgt

Sie gehen gerne und bereitwillig, eine enge Beziehung zu einer Partnerin ein, die Sicherheit und Geborgenheit bietet. Finden sie keine Partnerin, kann dies auch die Mutter oder eine Frau sein, die der Mutter sehr ähnelt. Oft entwickelt sich zu dieser Person eine symbiotische Beziehung, in der der Mann unselbstständig, aber auch geborgen, bleibt. Etwa 15% aller alkoholabhängigen Männer leben dieses Muster mit ihrer Mutter („Nesthocker-Syndrom“) oder einer nicht primär als Sexualpartnerin fungierenden Frau.

Auf Dauer ist das Übermaß an Nähe jedoch zu bestimmten Zeitpunkten unerträglich, kann aber nicht durch adäquate Distanzierung verringert werden, unter Umständen auch weil die Mutter oder Partnerin dies einfach nicht zulässt. Dann kommt es auf die Regulationsmethoden des Mannes an. Diese können in Gereiztheit, Unberechenbarkeit, aber auch Bedürfnisverleugnung bestehen. Der Mann müsste sich dann in seinem temporären Autonomiestreben durchsetzen, was er jedoch aufgrund von Ängsten, Dependenz und Schuldgefühlen nicht vermag. Suchtmittel, vor allem in Form von Alkohol, helfen dann die Problematik der Situation und des Konfliktes zu ertragen und zu betäuben. Diese Entwicklung kann in einer Depression mit Alkoholabhängigkeit führen.

Der Subtanzkonsum, der in Situationen des übermäßigen Dependenz- und Abhängigkeitserlebens als dysfunktionale Lösung angewendet wird, kann jedoch auch zur „substanzinduzierten Distanzierung“ führen. Für dependente Männer dient die Alkohol- und Drogenintoxikation dazu, die Fähigkeit zur Autonomie zu erhöhen („sich Mut antrinken“), um Verhaltensweisen zu zeigen, die ohne das Suchtmittel unmöglich scheinen. Auch für die Partnerin bzw. Mutter ist der stark betrunkene Mann unerträglich, so dass sie die Distanzierung zulassen muss. Der intoxikierte Mann kann sich dann für gewisse Zeit lösen, fühlt sich stark und autonom dabei, bis die Alkoholwirkung nachlässt und Schuldgefühle und Gewissensbisse einsetzen. Alkoholabhängige dependente Männer streben danach unter dem Substanzeinfluss ihre Ohnmachtsgefühle zu vermeiden und sich stark und im Idealfall unbesiegbar zu fühlen. Dieses Gefühl können sie sich – ohne Auflösung des Grundkonflikts – nur mit einem Suchtmittel verschaffen. Aus diesem Nähe-Distanz-Regulationskonflikt können jahre- oder jahrzehntelange Partnerschaftskonflikte resultieren. 

Für Männer, die sich nicht genügend Nähe verschaffen können, läuft es wie folgt: 

Sie leben isoliert und oft auch vereinsamt, haben Ängste vor Nähe und Bindung. Selbstsichere Frauen machen ihnen Angst, so dass sie bestenfalls kurzfristig Nähe zulassen können. Dies geschieht nicht selten bei einer selbst nicht bindungsfähigen Frau oder einer Prostituierten. Zunehmend können auch Online-Pornokonsum oder unverbindliche Online-Sexkontakte vorkommen. Gemeinsam ist allen Strategien die Aufrechterhaltung von Distanz und Autonomie, wobei sich Autonomie hier oft schon ins Extreme übersteigert hat und Vereinsamung bedeutet. Suchtmittel kommen dann zum Einsatz, wenn die Einsamkeit nicht mehr zu ertragen ist oder es zu angstbesetzten „Nähe-Durchbrüchen“ kommt, die jedoch in der Regel nicht von langer Dauer sind. 

Diese Männer zehren davon, dass sie ein „Lebensgefühl“ von Autonomie unter allen Umständen aufrechterhalten, ohne zu erkennen, wie sehr sie dieses starre Festhalten an diesem einen Pol auch schädigt. Dieses rigide Autonomieverhalten kann auch zum autodestruktiven Zwang werden, bei dem der autonome „lonesome cowboy“ zur einer Fassade ohne Inhalt wird. Extrem autonom lebende Männer gaukeln sich oft auch ein Gefühl von Unverletzlichkeit („ich brauche niemanden“) vor, durch das sich Autonomie in Vereinsamung und chronische Einsamkeit (siehe Abschnitt 9) wandelt. 

Einige dieser Männer leben auch in einer „Pro-Forma“-Beziehung, in der sie aufgrund mangelnder Nähe wie ein Single leben. Die Partnerin hat dann in der Regel, wenn sie das Muster erkennt, zunehmende Probleme, das übermäßig autarke Verhalten des Mannes zu ertragen. Sie hat ihn anfangs vielleicht aus rein optischen Gründen ausgewählt oder indoktrinierte sich, dass sie ihn ja noch ändern könne. 

Für die übermäßig autarken Männer zeigen sich in der Kindheit vermehrt Erfahrungen mit symbiotischen Müttern. Sie berichten dann, dass sie diese als emotional übergriffig und übermäßig kontrollierend erlebt haben. Bisweilen zeigten die Mütter auch ein distanziertes oder desinteressiertes Verhalten dem Jungen gegenüber. Ebenfalls auffällig ist die hohe Zahl abwesender Väter, was heutzutage meist ein Scheidungsfolgenproblem ist. Die Männer haben somit als Jungen nicht gelernt, Nähe zuzulassen oder ihre Grenzen wurden nicht respektiert. Suchtkranke oder psychisch kranke Elternteile sind in diesem Gesamtkontext nicht gelingender Nähe-Distanzregulation ebenfalls häufiger in der Vorgeschichte anzutreffen. 

Die dargestellten elf Risikomerkmale für Suchtentstehung bei Männern sind zentrale Bereiche, welche die Entstehung unangemessenen Verhaltens beschreiben, aber sie sind keineswegs unabänderlich. Das Präventions- und Hilfesystem ebenso wie Familie und Schule können schon im Vorfeld eine Menge dagegen tun, dass es nicht zu einer Suchtentwicklung kommt.

Der dritte und letzte Teil des Reports „Männer und Sucht“ wird sich mit diesen speziellen Möglichkeiten zur Erziehung, Prävention und Intervention beschäftigen. 

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