Selbstfürsorge bei Sucht – wichtig, wichtiger, am wichtigsten! (Sucht und Emotionen #9)

Suchtkranke sterben durchschnittlich 10 bis 15 Jahre – je nach Suchtform und Komorbiditäten – früher als Nicht-Suchtkranke. Sie erleiden häufiger schwere Verletzungen und Unfälle, begehen bis zu achtmal häufiger Suizid und kümmern sich insgesamt schlechter um ihre Gesundheit. Dies alles sind Anzeichen für eine unzureichende Selbstfürsorge und starke Selbstvernachlässigung bei Suchtkranken. Es kann auch zu einer völligen Aufgabe des Selbst und Resignation kommen. Andererseits zeigen viele Suchtkranke im Alltag auch übertriebenen Perfektionismus, zwanghaftes Verhalten und entwickeln eine tiefe Vereinsamung (Einsamkeit und Sucht: Einsame Menschen mit Suchterkrankung – Suchtkranke mit Einsamkeitsproblemen). Auch können es Enttäuschungen (Enttäuschung – eine bittere und lehrreiche Emotion (Sucht und Emotionen #6)) sein, die für Ärger oder Niedergeschlagenheit sorgen. All das sind mögliche Auslöser für Substanzkonsum zur emotionalen Beruhigung und Stressreduktion.

Wenn die Sucht immer stärker, der Substanzkonsum immer selbstzerstörerischer wird, wehren sie dies in der Regel lange Zeit kognitiv ab und wollen es nicht wahrhaben. Die Scham zu spüren, dass irgendetwas nicht stimmt am eigenen Verhalten, überwiegt und dominiert im Hintergrund alles. Es kommt zu chronischem Leugnen, Abwehren, Verharmlosen und Lügen. Solange der Kreislauf der Sucht anhält, dringen Anstöße, Anregungen und Interventionen von außen kaum durch.

Auch im gesellschaftlichen Bereich führt die Sucht zu vielen Nachteilen: Rückzug von alten Freunden, Verlust von Arbeit und Führerschein und vieles mehr. Die soziale Selbstfürsorge, mit verlässlichen und liebevollen Menschen in Kontakt zu sein oder zu kommen, tritt hinter der Dominanz des Suchtmittels zurück. Der Konsum des „geliebten“ Suchtmittels ist in der Realität dann wichtiger als der Kontakt zu geliebten Menschen. 

Suchtkranke müssen Selbstfürsorge lernen – das Suchtmittel täuscht nur vor

Suchtkranke müssen Selbstfürsorge erst lernen, oft zum ersten Mal in ihrem Leben. Viele haben in Kindheit und Jugend nicht die Zuwendung und Liebe erfahren, die sie verdient gehabt hätten. Aber ein Verharren in der Opferrolle ist sinnlos und gibt der Suchterkrankung nur noch mehr Ansatzpunkte. Das Erlernen nachhaltiger Selbstfürsorge ist oft ein langwieriger und anstrengender Prozess, der sich aber definitiv lohnt. Das Suchtmittel hat dem Betroffenen Wärme, Hilfe und Erleichterung nur vorgespielt. Wenn dies – oft schmerzhaft – erkannt worden ist, kann es mit dem Veränderungsprozess losgehen. Der Weg zur Erstarkung eines gesunden, echten Selbst führt über tägliche Selbstfürsorge und achtsame Routinen zur Gewinnung und Stabilisierung des Abstands zu den Suchtmitteln. Selbstfürsorge an sich ist kein Gefühl, sorgt aber für Ordnung in den Gefühlen und langfristig für mehr positive Gefühle

Selbstfürsorge bei Sucht – es geht!

Im mentalen Bereich zeigen Suchtkranke anfangs viel Abwehr, die Realität ihres Lebens und Verhaltens zu erkennen. Gerade chronischer Alkohol- und Drogenkonsum ist das Hauptzeichen ungesunden, selbstschädigenden Verhaltens, selbst wenn er ursprünglich ein Versuch der Selbstmedikation, etwa gegen Ängste, Einsamkeit oder Depression, war. Bei Verhaltenssüchten (z.B. Glücksspielsucht, Kaufsucht, Sexsucht) ist es ähnlich. Deshalb ist Selbstfürsorge im Alltag für Suchtkranke auf dem Weg aus der Sucht von allerhöchstem Wert. Durch Priorisierung und alltägliche Praxis ist der Aufbau neuen Verhaltens möglich. Selbstfürsorglich lebt jemand, der mit einem guten Blick auf sich selbst aufpasst, seine Bedürfnisse kennt und diese angemessen befriedigen kann.

Selbstfürsorge bei Sucht: Fünf wichtige Hinweise

Die Selbstfürsorge sollte sich auf Körper, Geist, Freunde, Partner und soziales Netzwerk beziehen. Im Folgenden dazu die 5 wichtigsten Hinweise:

1. Gute Selbstfürsorge besteht in bewusstem, achtsamem und genussvollem Alltagsverhalten! Auch Abstinenz oder stabile Reduktion des Substanzkonsums gehören dazu. Alles andere zerstört auf Dauer Körper, Seele und soziale Beziehungen (Familie, Partnerschaft, Freundschaften). Jede Alltagshandlung sollte Dir helfen können, gut für Dich zu sorgen. 

2. Eine gute, positive Beziehung zu Dir selbst entwickeln! Zur Selbstfürsorge bei Sucht gehört notwendigerweise eine positive, vertrauensvolle Beziehung zu Dir selbst. Durch kontinuierliche Selbstfürsorge kann im Alltag nach und nach ein gesundes Selbstwertgefühl entstehen (Selbstwertgefühl und Suchtprobleme. Hintergründe und Methoden zur Verbesserung mit den fünf wichtigsten Tipps). Auch wenn dies für Dich vielleicht überraschend klingt, überprüfe einmal, wie sehr Du Dir (im suchtmittelfreien Zustand) vertraust, an Deine Fähigkeiten glaubst und Dich positiv siehst! Auch automatisiertes Abwehren und Lügen müssen abgewöhnt werden. Da ist bestimmt viel Luft nach oben. Benutze die Zeit, die vor Dir liegt, für diese sinnvolle Arbeit an Dir selbst!

3. Tue nichts, bei dem es Dir dauerhaft schlecht geht! Das kann der Anlass für neuerlichen Substanzkonsum oder Rückfall sein. Lasse Dich auf nichts ein, das für Dich auf lange Sicht schlecht ausgehen könnte! Du wirst im Privaten wie auch im Beruflichen allzu oft zu solchen Handlungen verführt, die Dir dauerhaft nicht gut tun oder Dich gar schädigen. Erkenne sie, halte Dich von ihnen fern oder beende sie, wenn Du Dich schon darauf eingelassen hast!

4. Umgib Dich in Deinem privaten Leben nur mit Menschen, die Dir gut tun! Diese Regel ist so einfach wie wichtig. Im Berufsleben kannst Du Dir Deine Mitmenschen nicht aussuchen, in der Öffentlichkeit (Bahnen, Busse, Konzerte usw.) schon gar nicht. Umso mehr solltest Du es in Deinem ganz privaten Bereich tun. Solche Menschen kannst Du in der Suchtselbsthilfe und bei Freizeitaktivitäten finden, die Dir gefallen. Ziehe Dich nicht in Isolation und Einsamkeit zurück! Entwickele gute und für Dich gesunde Rituale! Dazu gehören Zeiten mit Freunden genauso wie Zeiten für Dich selbst. Bewegung, Sport, Sex, Lust, Meditation, Muße, Entspannung, Freude, Freizeit: Alles sollte einen Platz (neben Arbeit und den täglichen Verpflichtungen) in Deinem Leben haben oder finden.

5. Sorge gut für Dich mit allen Sinnen und allen Möglichkeiten! Das bezieht sich auf Körper und Geist. Überlege Dir einmal, was Dir besonders gut tut, Wohlbefinden in Dir auslöst und Dich vielleicht sogar Raum und Zeit vergessen lässt! Stelle es Dir ganz genau vor, scheibe es Dir auch einen Zettel, damit Du es nicht vergisst. Führe genau dieses immer wieder aus, mache es zu einer besonderen Priorität in Deinem Leben! Am besten bindest Du diese besondere Art der Selbstfürsorge in ein Ritual ein, damit Du es jetzt nicht mehr vernachlässigst oder gar vergisst.

Fazit: Mache die Selbstfürsorge zu Deiner wichtigsten täglichen Aufgabe!