Inhaltsübersicht
Prominenz und Drogenaffinität
Prominente gelten als besonders drogen- und in der Folge suchtaffin. Bekannten Musikern, Künstlern und Schauspielern wird immer wieder eine starke Nähe zu Alkohol oder Drogen nachgesagt. Die meisten bekannten Musikstars, die in den letzten Jahren vor dem Erreichen ihres 30. Lebensjahres starben, hatten starke Probleme mit Drogenkonsum, wobei natürlich auch Alkohol als Droge zu verstehen ist. Interessanterweise betrieben sie meist einen polyvalenten Konsum, bei dem sie mehrere Substanzen gleichzeitig oder nacheinander einnahmen.
Aber stimmt die vermutete Nähe der Promis zu Drogen oder ist es ein Mythos der Regenbogenpresse, um eine voyeuristische Sensationslust und damit die Verkaufsmaschinerie am Laufen zu halten? Als langjährig tätiger Psychotherapeut habe ich inzwischen viele Menschen mit genau diesem Doppelprofil, Prominentenstatus und psychische Problematik mit einer Substanzabhängigkeit, behandelt. Dies geschieht natürlich in völliger Diskretion und Vertraulichkeit. Vor diesem Hintergrund und unter Rezeption der vorliegenden internationalen Forschung berichte ich in diesem Beitrag zu dem Thema und will Perspektiven zu Problementstehung, Prävention und möglichen Hilfen aufzeigen.
Prominenz kommt selten – kreativ sind viele
Die folgenden Ausführungen beziehen sich im Wesentlichen nicht nur auf Prominente, sondern auch auf künstlerisch besonders begabte Menschen. Denn Prominenz kommt selten und es gibt viele Ansichten, was wirklich Prominenz bedeutet. Hochkreative Personen werden durch ihre besonderen Begabungen bisweilen – aber eben nicht immer – berühmt. Die Lebenssituation einer kreativen, nicht prominenten Person unterscheidet sich natürlich sehr von der einer kreativen, prominenten Person, so dass diese Unterschiede hinsichtlich Lebensstil und Alltagsverhalten zu berücksichtigen sind. Spitzwegs – bildnerisch im Jahre 1839 verewigter – armer Poet mag hochkreativ gewesen sein, hat es aber nie zu öffentlicher Bekanntheit geschafft. Die Konsummotive in Bezug auf Drogen können jedoch ähnlich sein. Darauf sollte bei Prävention und Therapie auf jeden Fall geachtet werden.
Ruhm und psychische Auffälligkeiten – von wahnsinnigen Königinnen und Königen
Die psychischen Probleme von Prominenten beziehen sich jedoch nicht ausschließlich auf Suchtstörungen, sondern die ganze Palette psychischer Erkrankungen. Besonders oft wurden auch depressive und wahnhafte Tendenzen beschrieben. Persönlichkeiten wie König Ludwig II. von Bayern (1845 – 1886) mit seinen bizarren, affektiv instabilen und wahnhaften Episoden sind bekannt und verdeutlichen, dass es im Feudalismus bei den offiziellen Thronfolgen durch inzuchtähnliche Verbindungen gehäuft zu Erbkrankheiten kam.
Nicht immer sind es die genetischen Wirkungen, die zu einer psychischen Krankheit geführt haben – insbesondere in den Bereichen Schizophrenie und Depression. Oft waren es ungewollte Vergiftungen (z.B. durch den weitverbreiteten Umgang mit Quecksilber und später auch Blei) oder Folgen von Giftanschlägen (z.B. mit Arsen). Auch waren es gehäuft die Folgen organischer Erkrankungen (vor allem Syphilis), die zu wahnhaften und dementen Erkrankungen führten. Wichtig sind aber auch die psychosozialen Lebenslaufeinflüsse auf die jeweiligen Personen, wie z.B. Unfälle, Verletzungen, Fehl- und Frühgeburten.
Einzelnen Persönlichkeiten haben die Zeitgenossen oder spätere Geschichtsschreiber das Merkmal ihrer psychischen Abartigkeit als Stigma dauerhaft zugefügt, so etwa bei der spanischen Prinzessin Johanna (1479 – 1555), dem dritten Kind des spanischen Königspaares Isabelle von Kastilien und Ferdinand von Aragon. Sie wurde aufgrund ihrer schizophrenen Erkrankung (das Krankheitsbild war damals als solches noch nicht bekannt) Johanna die Wahnsinnige genannt. Immerhin hat sie als spanische Königin (überwiegend nicht alleine regierend) und Mutter zweier späterer deutscher Kaiser (Karl V. und Ferdinand I.) die Weltgeschicke wesentlich mitbestimmt. Sie selbst wurde wegen ihrer Exzentrizitäten für Jahrzehnte in Gefangenschaft gehalten.
Prominenz und Auffälligkeit heute – Drogen werden immer wichtiger
Die Lebensgeschichten historisch prominenter Persönlichkeiten und deren Rezeption, aber auch Tabuisierung, zeigen den über Epochen wechselnden Umgang mit psychischen Störungen auf. Der folgende Blick auf die Gegenwartssituation verdeutlicht den historischen Wandel bis in die Gegenwart. Und auch in Zukunft werden sich veränderliche Bewertungen und Diskriminierungen zeigen. Eine dieser Änderungen zeigt sich in der inzwischen weiten Verbreitung von Drogen bei Prominenten. Ein hinreichender Anlass für diesen Bericht.
Was ist Prominenz?
Der Ausdruck Prominenz (lat.: prominentia = das Hervorragende, das Herausragende) wird im Alltag meist zur Bezeichnung von herausragenden Persönlichkeiten verwendet. Es kann aber auch das erworbene Ausmaß der individuellen Bekanntheit in der Öffentlichkeit bezeichnen. In den letzten Jahren – parallel zur Ausbreitung zunächst des Internets und später der sozialen Medien – ist ein inflationärer Gebrauch des Begriffs „prominent“ zu verzeichnen, was wiederum zur Sortierung in mit Buchstaben kategorisierten Prominenzstufen führt (A-Promis, B-Promis, usw.).
Diese Inflationierung und Diffusion des Prominenzbegriffs widerspricht der Ursprungsidee und verwässert – ganz im Sinne der gesellschaftlich propagierten Gleichstellung unterschiedlicher Menschen – das Konzept der Elite. Demnach gehört eine Person, die hervorragt, hinsichtlich bestimmter Merkmale zu einer Elite. Letzten Endes sorgt der Prozess des Postulats von Gleichheit bei gleichzeitigem Vorhandensein sehr ungleicher Menschen für noch mehr Konfusion und Konkurrenz, besonders zwischen den Möchtegern-Prominenten. Wahre Prominenz aber muss sich keine Sorgen um ihre Bekanntheit machen. Viele hervorragende Menschen wollen – gerade heutzutage – gar nicht bekannt sein, weil dieser Status auch mit vielen Unannehmlichkeiten und einem echten Prominenzstress verbunden ist.
Sucht nach Prominentsein
Andererseits streben viele Menschen geradezu zwanghaft nach Prominenz und sind bereit, dafür nahezu alle Mittel einzusetzen. Sei es durch den Einsatz des eigenen Körpers und erotischer Mittel, vor allem in der Filmwirtschaft, sei es durch nahezu sklavische Dienste gegenüber älteren Politikern und Meinungsmachern, um durch den Aufbau von Netzwerken eine Protektions- und Karriereleiter zu bauen, offensichtlich sind der Wege zur Prominenz ohne vorhandene größere Kompetenz oder Auffälligkeit durch Talent kaum Grenzen gesetzt.
Immer wieder benutzen Menschen, die vom eigensüchtig und narzisstisch motivierten Wunsch nach Bekanntheit getrieben sind, allumfassende Mittel und Wege, die sie bei genauerer Selbstreflektion zur Selbstschamveranlassen könnten, um ihren überwertigen Wunsch nach Bekanntheit zu befriedigen. Zu Recht ist dann die Rede von einer Sucht nach Prominentsein. Es handelt sich um ein übertriebenes, nicht mehr kontrollierbares Verlangen, dem nahezu alle Werte und moralischen Haltungen untergeordnet werden. Allerdings wird so meist keine dauerhafte Prominenz erreicht. Es handelt sich um vorübergehende, oft selbstschädigende Formen von fragiler Schein-Prominenz. Diese Menschen sollten ihr Getriebensein nach Berühmtheit und Prominenz überprüfen, den zwanghaften Hintergrund des Strebens erkennen und mehr Gelassenheit entwickeln.
Inflation von Promis? Nein – nur Schein-Promis
Zur Pseudo-Prominenz oder – in Anlehnung an B-Movies- B-Prominenz genannt, werden in der Alltagssprache solche Personen gerechnet, die durch öffentliche Skandale, spektakuläre Fernsehauftritte oder andere Ereignisse – häufig nur für kurze Zeit – schlagzeilenträchtiges Aufsehen erregen, ohne jedoch dabei auch Ansehen zu gewinnen. Meist geht es um kalkulierte, Emotionen erregende Tabubrüche in der Öffentlichkeit. Die sensationslüsterne Presse tut dann das Ihrige, um Meldungen darüber zu verbreiten. Wie sehr ängstliche Menschen sich zu Tabubrüchen überwinden müssen oder impulsive Menschen immer wieder zu Tabubrüchen animiert werden, bleibt dabei im Dunkeln.
Cervelatpromis – Gesellschaft liebt ihre Möchtegernpromis
In der Schweiz gibt es in Anlehnung an den Cervelat (einer nur in der Schweiz bekannten Form einer Brühwurst, die auch grillbar ist) den Begriff der Cervelatprominenz. Gemeint sind lokal bekannte Personen, die bisweilen durchaus Talent und Kompetenz aufweisen, aber nie über den lokalen Raum hinaus bekannt werden. Eine liebenswerte, aber auch provinzielle Form des Berühmtseins. Sie werden international kaum bekannt, sondern sind lediglich in speziellen Kreisen oder durch einzelne Veranstaltungen oder Sendungen bekannt. Zu einer solchen C-Prominenz werden auch weniger bekannte Personen gerechnet, die eher wegen eines ererbten oder häufiger erworbenen Adelstitels oder durch Affären mit Prominenten zeitweise Aufmerksamkeit finden.
Ein großes Reservoir von Möchtegern-Promis nutzt der Medienindustrie und schadet den Betroffenen
Zahllose Fernsehformate wie „Deutschland sucht den Superstar“, „Big Brother“, „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ usw. oder von Medien aufgebauschte Skandale erzeugen eine derart hohe Anzahl von angeblich prominenten Personen, so dass zunehmend von „C-Promis“, „D-Promis“ bis „Z-Promis“ die Rede ist, also Personen, deren Prominenz als noch schnelllebiger und unbedeutender wahrgenommen wird als die der sogenannten B-Prominenz, die sich immerhin noch Hoffnung auf den letztendlichen Aufstieg zur Elite der Prominenten machen können. Die moderne Medienindustrie benötigt ein großes Reservoir an solchen Personen, die – am besten süchtig – nach Prominenz streben, diese aber nie erreichen werden.
Bei den Pseudo- oder Möchtegern-Promis steht ein illusionärer Zwang nach Besonderheit, Berühmtheit und übermäßiger Bewunderung im Vordergrund, oft in exzessiver, unkontrollierter Form. Klassische Tätigkeiten oder Eigenschaften, die wirkliche Prominenz begründen könnten, sind hier kaum erkennbar, waren nie vorhanden, oder sie liegen lange zurück, was besonders bei den Kandidaten von Shows wie „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ erkennbar häufig der Fall ist. Oft geht es um das Aussehen und die physische Attraktivität der Personen, also Merkmale, die einer schnellen Veränderlichkeit unterliegen. Der Boom-Bereich der plastischen Chirurgie bei nicht behandlungsbedürftigen Problemen („Schönheitsmarkt“) hat sich inzwischen mächtig aufgebläht. Im Jahr 2018 wurden in Deutschland mehr als 385.000 Schönheitsoperationen durchgeführt, meistens Brustvergrößerungen und Fettabsaugungen. Mehr Möchtegern-Promis und Prominenzsüchtige lassen sich oft auf selbsterniedrigende Inszenierungen ein. Die damit verbundenen psychischen Prozesse – bis hin zu psychotraumatischen Folgen – führen nicht selten zu Depressivität, Suizidalität und Sucht.
Wahre Prominenz? – statistisch
Prominenz kann nur dort entstehen, wo es Massen gibt, von denen sich einzelne hervorheben. Ein im Grunde einfacher sozialpsychologischer Effekt, schon vor 100 Jahren von der Gestaltpsychologie als Figur-Grund-Effekt beschrieben. Etwas muss sich vom Hintergrund unterscheiden bzw. abheben, um als im wahrsten Sinne des Wortes „hervorragend“ wahrgenommen zu werden. Im Sinne der statistischen Normalverteilung kann es Prominenz nur im Sinne des Extremen geben. Alles, was mehr als zwei, noch besser drei Standardabweichungen vom Mittelwert entfernt ist, hat das Zeug zum Besonderen. Ob diese Menschen dann prominent werden, steht noch lange nicht fest. Besonders sind sie in jedem Fall. In Bezug auf einzelne Fähigkeiten („das absolute Gehör in der Musik“, „das Mathematikgenie Redner“, „der herausragende Fußballer“) sind es meist nicht mehr als 0.1% aller Menschen, die dieses Kriterium erfüllen. Dies entspricht einem Abstand von drei Standardabweichungen vom jeweiligen Mittelwert.
Wahre Prominenz? – inhaltlich
Die Eingangsmerkmale für „Prominenz“ sind heutzutage oft Schönheit und Sportlichkeit (Körperaussehen und -kraft), wodurch sich Menschen von anderen Mitmenschen unterscheiden. Diese direkt beobachtbaren Merkmale sind bisweilen das Entre in den Bereich der Prominenz, wenn im Weiteren Talent, Engagement und Anstrengung dazu kommen. Sicher spielt auch eine große Portion Zufall bzw. Glück eine Rolle. Der Satz des „zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein“ beinhaltet sicher eine Grundweisheit auf dem Pfad zur Prominenz. In früheren Zeiten waren es Abkunft und Reichtum, die nahezu zwangsläufig zur Prominenz führten.
Andere Menschen schafften es im feudalen Zeitalter über extremen Mut, größtes Talent, Extravaganz und starke Raffinesse zur Prominenz. Damit sind wir auch schon bei den verborgenen, aber nicht minder wichtigen Voraussetzungen für Prominenz. Meist sind dies ein besonderes Talent, eine belastbare Persönlichkeit, Mut und Wille zum Aufstieg, also Motivation. Meist hilft auch eine klare Zielorientiertheit, eine Robustheit gegenüber sich selbst und anderen sowie ein nicht zu unterschätzender Optimismus.
Prominenz bringt sozialen Aufstieg, positive Diskriminierung, Stress und Einsamkeit
Im Hintergrund steht oft auch ein Streben nach sozialem Aufstieg, verbunden mit Berühmtwerden, allgemeiner Akzeptanz und Bewunderung. Das Streben nach Andersartigkeit, dem sich Unterscheiden von der Masse der Menschen in derselben Sozialschicht, ist ein altes Bedürfnis von Menschen und bezieht sich auf die Steigerung von Selbstwert. Menschen fordern Gleichheit von anderen, wollen aber für sich selbst meist etwas Besonderes sein. Im wörtlichen Sinne bedeutet dabei Prominenz ja das Herausragen aus der uniformen Masse, was dann durch Auffälligkeit Bewunderung und Zugewandtheit durch andere zur Folge hat.
In der Folge tritt eine Diskriminierung von anderen ein, was nichts anderes als die Unterscheidbarkeit von der Masse bedeutet. Die ursprüngliche Wortbedeutung von Diskriminierung war dementsprechend eine positive. Oft folgen aber der Prominenz Einzelner Neid und Missgunst durch andere, was gerade durch die sozialen Netzwerke des Internetzeitalters inflationäre Ausbreitung und Öffentlichkeit erfährt. Prominenz hat heute noch mehr als früher Einsamkeit und soziale Isolation zur Folge. Heutzutage müssen Prominente häufiger und intensiver unter diesen negativen Konsequenzen ihres Prominentseins leiden, wenn sie sich diesen überhaupt Netzwerken stellen. Es bedarf dann einer starken Resilienz, um die oft sehr emotional abwertenden und destruktiven Anfeindungen wegzustecken.
Kreative Prominente
Der heute weit verbreitete Prominenzbegriff verdeutlicht den inflationären Gebrauch dieses Begriffs, der ursprünglich das „Herausragen“ aus der Masse, also ein Begriff der Elitebildung bezeichnet. Ein großer Teil der echten Prominenten (die sind ab jetzt bei der Verwendung des Begriffs gemeint) sind kreativ Schaffende – Schauspieler, Musiker, Künstler, Literaten usw, die tatsächliche besondere Fähigkeiten aufweisen. Diese zeigen gehäuft einen auffälligen Umgang mit Substanzen. Die bereits beschriebenen Funktionalitäten nutzen sie oft, um ihre Ziele zu erreichen: Steigerung der Leistungsfähigkeit, Aufputschen vor Auftritten, Dämpfung und Beruhigung, Selbstmedikation bei Depressionen und Ängsten usw.
Im Bereich der Kreativität im engeren Sinne werden Substanzen meist zur Selbstmedikation, z.B. bei Schreibhemmungen oder extremem Lampenfieber, benutzt. Sie helfen kurzfristig, jedoch nicht kausal, d.h. sie beseitigen die Ursachen der Probleme nicht. Drogen decken die Symptomatik nur zu, kaschieren also die wahren Gründe von Blockaden und Krisen. Diese können in Hyperstress, Erschöpfung, Entfremdung und Depression liegen. Die Lösung liegt dann meist in einer Änderung des Verhaltens und Lebensstils und der Reflexion der tieferen Ursachen. Unbewusste Motive und Schemata (Lebenskonzepte) sollten erkannt und revidiert werden. Die Schemata können bis in die früheste Kindheit zurückreichen, z.B. für einen Schauspieler, der einen berühmten Vater als überwertiges, unerreichbar scheinendes Vorbild hatte. Um mit diesen Konflikten grundsätzlich und nachhaltig zurechtzukommen, sind Psychotherapie und Coaching geeignete Angebote.
Funktionen des Drogenkonsums bei Kreativen
Hinter jedem Drogenkonsum steckt ein Zweck und ein Ziel. Dies wird als die Funktionalität des Drogenkonsums bezeichnet und betrifft die unmittelbaren, akuten Wirkungen der Substanzen auf den Organismus der Konsumenten, besonders das Gehirn. Die Funktionalitäten sind meist nicht bewusst, sind aber dennoch wirksam und steuern latent das Verhalten. Psychoaktive Substanzen erfüllen gerade bei Menschen in kreativen Berufen zweierlei Funktionen: Einerseits erhöht die Substanzwirkung die Sensitivität von Künstlern – und damit indirekt auch ihre Kreativität.
Ein initial erwünschter und dann in der Folge oft immer wieder gesuchter Zweck. Andererseits können – insbesondere sedierende Substanzen wie Opioide und Alkohol – Hypersensitivität, extreme Emotionen und belastende Kognitionen (“Sorgen und Ängste”) dämpfen und so ein weiteres kreatives wenigstens kurzfristig Schaffen ermöglichen. Die Motive zum Substanzkonsum sind – wie bei allen Konsumenten – mannigfaltig und persönlichkeits- und situationsabhängig. Die für Kreative – auch wenn sie noch nicht prominent sind, was auf die Mehrzahl zutrifft – wichtigsten Motive zum Substanzkonsum sind Stressreduktion, Angstdämpfung und Steigerung der Ausdauer und Leistungsfähigkeit.
Und es gibt Künstler, die auf Drogen setzen, um kreativer zu werden.
Es finden sich auch zahlreiche Künstler, die den Drogenkonsum bewusst nutzen, um (noch) kreativer zu werden. Dies zählt zu den narzisstischen Motiven des Konsums, da sie nicht in der Lage sind, kreative Krisen und Rückschläge aus eigener Kraft auszuhalten, diese konstruktiv auf sich zu beziehen oder gar daraus zu lernen. Manche empfinden sich dabei im Hintergrund als zu defizitär, um es ohne Drogen zu schaffen. Gerade über die Personen, die schon eine längere Zeit prominent und erfolgreich waren und dann wegen einer kreativen Krise auf Substanzen zurückgreifen, gibt es viel Material – zum Teil von den Betroffenen selbst produziert.
Das findet man oft unter Schriftstellern, wie z.B. Ernest Hemingway oder Truman Capote. Diese erhoffen sich von der Wirkung der Substanzen, an alte Kreativität und frühere Erfolge anknüpfen zu können. Dies ist natürlich ein Trugschluss, da die Ursachen der Krise zu lösen sind. In einer ausführlichen Liste haben amerikanische Experten aufgelistet, welche berühmten Künstler des 20. Jahrhunderts Drogenmissbrauch betrieben haben und auch welche daran mittel- oder unmittelbar gestorben sind.
Besonderheiten des Drogenkonsums bei Prominenten
Die amerikanische Liste liest sich wie ein „Who is who?“ der Kultur des 20. Jahrhunderts. Der Konsum von Drogen findet sich in avantgardistischen Kreisen aber schon länger in höherem Maße als in der Allgemeinbevölkerung. Möglicherweise ist der Drogenkonsum Ursache und Begleitumstand avantgardistischer Lebensformen. Avantgarde bedeutet wörtlich „Vorhut“. Der Begriff stammt ursprünglich aus dem militärischen Bereich, womit vorauseilende Spähtrupps und Spezialtruppen bezeichnet wurden. Im späteren Verlauf wurde der Begriff auf kulturelle Innovationen übertragen. Das nach dem napoleonischen Feldzug in Ägypten bekannt gewordene orientalische Brauchtum des Haschischkonsums wurde dann im Frankreich des 19. Jahrhunderts als antibürgerliche Form der kulturellen Innovation von sogenannten avantgardistischen Gruppen benutzt. Bekannt wurde der Club des Hachichins („Der Klub der Haschischesser“) in Paris von 1844 bis 1849. Die soziale Diskriminationsfunktion solchen Verhaltens schafft neben der angestrebten Unterscheidungsfunktion elitäres Bewusstsein und führt zu besonders hoher Gruppenkohäsion.
Wege zur Sucht bei Prominenten
Während manche Betroffene ihren Weg zur Prominenz mit Drogen gehen und unter dem Substanzeinfluss akut in hyperstimulierte Zustände des Nervensystems geraten, geht es auch umgekehrt. Jemand gelangt wegen seiner herausragenden Fähigkeiten zu Prominenz und entwickelt dann einen riskanten Konsum, weil er den Dauerstress nicht verkraftet oder unter zunehmenden Ängsten leidet. Betroffene entwickeln dann oft unter dem zur Prominenz gehörenden Alltagsstress ein Verhaltensmuster, sich mit Subtanzen zu beruhigen und zu stimulieren (je nach situativen Anforderungen).
Längerfristig stellt sich bei solchem Alltagskonsum oft ein Abhängigkeitsproblem ein, was überlicherweise – wie bei allen Suchtkranken – zunächst nicht wahrgenommen bzw. bezüglich der Symptome unterdrückt wird (siehe Fachtext zu den Abwehrmechanismen bei Suchtstörungen). Im Kern handelt es sich also dann um ein Emotions- und Stressregulationsproblem, was gleichzeitig verleugnet und abgewehrt wird. Prominenz stellt eine große Herausforderung und auch einen Stressfaktor dar, der viele Prominente von ihrer Persönlichkeit und Stabilität her nicht gewachsen sind. Wahre Prominenz setzt eine gereifte, stabile Persönlichkeit voraus, was heutzutage immer seltener gegeben ist. Deshalb ist Persönlichkeitscoaching gerade bei entstehender Berühmtheit eine besonders wichtige präventive Begleitmaßnahme.
Manche Prominente, die schnell aufgestiegen sind, kommen mit der Bewunderung nicht zurecht, die ihnen massenhaft entgegenschlägt. Sie wollten zwar, umgangssprachlich ausgedrückt, keine kleinen Brötchen mehr backen, sind aber auf den Stress und die Unruhe, die mit dem Lebensstatus als Neu-Prominente verbunden ist, nicht vorbereitet. Im Hintergrund herrscht oft ein narzisstisches Motiv vor: Ich will endlich bewundert werden und es darf auf keinen Fall aufhören! Ich will immer mehr davon und komme im Grunde immer weniger damit zurecht.
Elvis Presley ist so ein Typ gewesen. Er wollte unbedingt daran festhalten, berühmt und prominent zu sein, hatte Angst, dass es aufhört und war am Ende in einer Stress-Angst-Drogenkonsumfalle gefangen und praktisch auf fast allen Verhaltensebenen süchtig (Alkohol, Drogen, Essen, Beziehungen). Auch Esssucht und Beziehungssucht sind übrigens gar nicht so selten bei prominenten Stars, weil einerseits auch größere Mengen hochkalorische Nahrung (vor allem mit viel Fett, Zucker und Salz) die Befindlichkeit und Emotionen schnell und effektiv verändern und andererseits immer mehr Bewunderung aus dem sozialen Umfeld kommen muss.
Manche kommen aber auch einfach mit dem Alltagsstress nicht zurecht, wollen alles mitnehmen und überfordern sich damit. Im Übrigen trifft das auch öfter auf Politiker zu. Es gibt Untersuchungen unter Bundestagsabgeordneten, die zeigen, dass der Alkohol- und Drogenkonsum auch in dieser Gruppe überdurchschnittlich hoch ist.
Psychische Störungen und Prominenz
Es besteht oft ein enges Verhältnis zwischen psychischer Auffälligkeit und Prominenz. Der Vorteil an psychischer Auffälligkeit kann etwa darin bestehen, sich wenig um gesellschaftliche Konventionen zu kümmern, sich nonkonformistischer zu verhalten und dadurch im Idealfall Bewunderung und Zuneigung zu erhalten. Auch wenn diese Reaktionen eher auf die geheimen Wünsche der Zuschauer schließen lassen, lebt das Prinzip der Prominenz davon, dass diese Projektionen geschehen. Der Prominente wiederum ist unbewusst auf die Bewunderung des Publikums programmiert und leidet unter der Angst, diese zu verlieren, oder muss es real sogar verkraften. Es ergibt sich so eine narzisstische Falle aus den Zuschreibungen des Publikums und den geheimen Ängsten des Künstlers.
Prominenz kann tödlich sein
Amerikanische Studien zum Prominentenstatus („celebrities“) haben gezeigt, wie gefährlich dieses Leben für die Promis selbst sein kann. Während in der Gesamtbevölkerung 92% eines natürlichen Todes sterben, sind es unter Prominenten lediglich 49%. Der Rest stirbt an Unfällen, Suiziden, Suchterkrankungen und Stressfolgeerkrankungen. Musiker etwa starben 20-mal häufiger an den Folgen von Suchterkrankungen als Menschen aus der Allgemeinbevölkerung. Ihr Risiko an einem Suizid zu versterben war um das Vierfache erhöht. Viele Experten halten die drogenbedingten Todesfälle unter Prominenten für kaschierte Suizide. Natürlich sind es nicht nur die Umstände und Folgen des Prominentseins, die Gefährdungen erzeugen. Bestimmte Persönlichkeitsprofile bringen höhere Verhaltensrisiken mit sich, etwa Hyperaktivität, Impulsivität, Risikofreude, Aggressivität usw.
Prominente leben riskant – Prävention und Hilfen gehören zum professionellen Verhalten
Die genannten Zahlen und Fakten machen insgesamt deutlich, dass das Leben als Prominenter nicht nur aufregend und spannend, sondern auch riskant und gefährlich sein kann. Deshalb sind frühzeitige Hilfen für betroffene Prominente besonders wichtig, egal um welche Risiken und Gefährdungen es sich handelt. Da die Scham, sich Hilfe zu holen und Schwächen zuzugestehen, in dieser Gruppe von Menschen besonders stark ist, helfen Vorbilder, die sich outen, und psychoedukative Informationen, um zu verstehen, dass die Probleme nicht nur individueller Natur sind.
Der Alltag Prominenter bringt es nämlich mit höherer Wahrscheinlichkeit mit sich, insbesondere durch den erhöhten Rollen- und Performancestress, dass psychische Probleme entstehen. Wenn diese dann dauerhaft unterdrückt, geleugnet oder abgewehrt werden, wird der Missbrauch von Substanzen noch wahrscheinlicher. Leider sind diese Phänomene in Deutschland kaum bekannt, auch nicht in den betroffenen Kreisen. Gerade unter Künstlern und Prominenten ist die Tendenz zur Tabuisierung und Abwehr des Themas enorm stark. Ganz anders ist die Lage in USA, wo Prominente – sobald ihr Problem bekannt wird – dazu tendieren, die „Flucht nach vorne“ anzutreten und sich öffentlich zu ihrem Problem zu bekennen. Das bringt ihnen in der Regel Akzeptanz und Bewunderung ein.
Das Leben als prominenter Mensch ist oft eine ambivalente Achterbahnfahrt aus Aufregung und Bewunderung einerseits, Stress, Ängsten und Sorgen andererseits. Im Grunde – und das ist meine Bilanz aus vielen Psychotherapien mit Betroffenen – gelingt das Leben als Prominenter am besten mit britischem Understatement, viel Optimismus und Hoffnung und der Freude an den eigenen Fähigkeiten und Talenten. Und wenn es dabei Probleme und Konflikte im „Innenleben“ der Psyche gibt, kann es im Optimalfall den Menschen durch intensive Auseinandersetzung mit sich selbst, seinen unbewussten Anteilen und seiner Lebensgeschichte zu noch stärkerer Tiefe und Intensität führen.
Literaturhinweis: Köhler, Thomas (2017). Ruhm & Wahnsinn. Psychische Störungen bekannter Persönlichkeiten. Stuttgart: Schattauer.
Weiterführende Fakten: „Famous Drug Abusers“ enthält eine Übersicht zu den wichtigsten US-amerikanischen Promis und deren Umgang mit Drogen.