Ohnmachtsgefühle, Subtanzkonsum und Sucht (Sucht und Emotionen #8)

Zu den schlimmsten Gefühlen, die dauerhaft nicht ohne Folgeschäden auszuhalten sind, zählen Ohnmachtsgefühle. Ohnmacht im Sinne von Machtlosigkeit und ohne Einfluss auf sein Leben zu sein, ist ein Gefühl, das unsere Zeit durch Entfremdung und Vereinsamung viel stärker prägt, als dies allgemein bewusst ist. Ohnmachtsgefühle entstehen vor allem, wenn man sich in der Arbeitswelt und in Beziehungen wehrlos, ausgeliefert und schwach fühlt, ohne dass eine Lösung oder Verbesserung in Sicht ist. Diese Situation kann auch zu einer starken Vereinsamung führen. Häufig geht das Ohnmachtsempfinden damit einher, dass Menschen sich als unfähig oder unzulänglich, als minderwertig oder wertlos, als gelähmt oder gedemütigt erleben.

Der Mensch der Postmoderne ist immer mehr fremdbestimmt. Die Beschleunigung des Alltags, zunehmende Entfremdung in der Arbeitswelt und massenhafte manipulative Meinungssteuerung durch Medien hinterlassen mehr und mehr Spuren in der Psyche der Menschen, vor allem der jetzt noch jüngeren. Betroffen von den Entfremdungsspuren sind vor allem Emotionen und Kognitionen. Der Eindruck und das Gefühl, sein Leben nicht wirklich oder nicht ausreichend steuern zu können, erzeugt Ohnmachtsgefühle, Apathie, Depression aber auch Wut und Ärger. Immer mehr Menschen geraten an den Rand der Gesellschaft, aus materiellen, aber auch aus mentalen und ideellen Gründen. Dort werden sie stehen gelassen und negativ stigmatisiert, statt dass sie mit aller Kraft wieder integriert werden. Die Spaltung der Gesellschaft schreitet dadurch immer weiter voran. So besitzen in Deutschland die reichsten 10% der Haushalte rund 60% bis 65% des gesamten Nettovermögens. Das oberste Perzentil (die reichsten 1% der Haushalte) besitzt rund 20% bis 25% des gesamten Nettovermögens. Die Angaben stammen aus der Vermögensbefragung des DIW (SOEP) und dem Haushaltspanel der Bundesbank (PHF – Panel on Household Finances). Diese gesellschaftlichen Entwicklungen bergen viele Gefahren für die psychische Gesundheit der Menschen. Dabei dreht es sich besonders um Depressionen und Suchtgefahren. Um Letztere geht es im Folgenden. 

Autonomie, Freiheit, Ohnmachtsgefühle und Sucht

Autonomie und Freiheit, die klassischen Ziele der Aufklärung, verschwinden immer mehr aus dem Bereich des Möglichen. Die zunehmende Fremdbestimmung rührt vom frei flottierenden Kapital der globalen Märkte, von der immer stärker perfektionierten Manipulation und Propaganda der Medien, aber auch im Kleinen durch mächtige Andere in sozialen Netzwerken und Freundschafts- sowie Paarbeziehungen. Im Kleinen rührt das Ausmaß der Fremdbestimmung auch daher, dass Menschen weniger zu Partnerschaftlichkeit, Hingabe, tiefer Liebe und Fairness bereit oder in der Lage sind. Der einzelne Mensch erlebt immer weniger echte Mitbestimmungs- und Teilhabechancen. Für den Alltagsmenschen der heutigen Zeit sind Ohnmachtserfahrungen daher auch ein relevanter Weg in Substanzmissbrauch und längerfristig Suchterkrankungen. Ein klassisches Resultat der Suchtforschung war, dass Männer mit hohem Ohnmachtserleben stärker zum Alkoholkonsum und zu Suchtentwicklung neigten als andere Männer. Der amerikanische Motivationsforscher David McClelland (1917 – 1998) fand dies schon 1972 heraus. Leider fehlen neuere Studienergebnisse. Heutzutage dürfte das Phänomen der Suchtgefahr durch Machtlosigkeitserleben für Männer und Frauen gelten und insgesamt zugenommen haben. Daher ist der Umgang mit Ohnmachtsgefühlen und Machtlosigkeit ein zentrales Thema für Suchtprävention und -therapie.

Was macht Ohnmachtsgefühle im Leben so schwierig?

Ohnmachtsgefühle will niemand erleben und spüren müssen. Sie stellen eine Beeinträchtigung der persönlichen Souveränität und Autonomie und eine Bedrohung der psychischen Gesundheit dar. Bisweilen sind sie Resultat von Entmündigung und Unfreiheit. Männer versuchen traditionell, sich dem Ohnmachtsgefühl kämpferisch entgegenzustemmen, Frauen merken oft zu spät, wenn sie in kritischen Ohnmachtssituationen dauerhaft gefangen sind. Dies entspricht einerseits der klassischen Männerrolle als Beschützer und Ernährer, andererseits der klassischen Frauenrolle als schwach und angepasst. Beides entspricht den klassischen Geschlechterrollen und kann zu sehr starken Ohnmachtsgefühlen führen. Diese Rollen, die heute immer noch viel stärker ausgefüllt werden, als es von wunschdenkenden Gendertheoretikern meist zugegeben wird, bringen Männer wie Frauen in viele Konfliktsituationen, die zu Gefühlen von Versagen, Machtlosigkeit und Ohnmacht führen. Diese wiederum werden mit depressiven Stimmungen und Sedierung durch Substanzkonsum beantwortet. Die Abwehr von Ohnmachtsgefühlen durch Substanzkonsum ist ein nachvollziehbarer psychologischer Prozess, wenn dem Individuum keine Handlungsalternativen zur Verfügung stehen. 

Männer, Machtlosigkeit und Suchtrisiko

Männer sind durch ihre Geschlechtsidentität oft in einer Double-Bind-Situation. Sie wollen unter keinen Umständen versagen, haben ein strenges, oft rigide-zwanghaftes Programm von Anstrengung, Perfektion und Hingabe gelernt, müssen dann aber im realen Leben erkennen, dass mächtige Andere ihre Geschicke lenken und ihre Anstrengung am langen Ende nutzlos ist

Auch in Partnerbeziehungen erleben Männer viel öfter Ohnmacht, als dies bekannt ist. Wenn die Partnerin durch starke Alltagsdominanz den Ton angibt und der Mann faktisch nicht auf Augenhöhe ist, sondern sich als untergeordnet erlebt, ergibt sich eine solche Ohnmachtskonstellation. Viele Männer sehen sich dann in einer Situation, als ob sie von der Partnerin wie von einer Mutter erzogen werden. All dies führt zu dauerhaften oder sich wiederholenden Ohnmachtsgefühlen bei Männern. Natürlich sind die Männer für ihre Veränderung und Befreiung aus dieser selbst verantwortlich. Selbstbehauptung in Beziehungen ist eine wichtige Kompetenz, um Zufriedenheit zu bewahren. Wenn Männer den Weg dorthin nicht finden, sollten sie Hilfe und Unterstützung in Anspruch nehmen. Entsprechende Konstellationen sind bei Frauen ebenso denkbar, haben aber öfter mit physischer und sexueller Gewalt zu tun.

Die innere Spannung, die durch Ohnmachtsgefühle entsteht, kann man entweder aushalten, was durch den vorhandenen hohen Alltagsstress auf Dauer zu psychischen Problemen und Krankheiten, bisweilen zum vorzeitigem Tod, führt, oder durch Mut, Widerstand und Engagement in eigener Sache überwinden. Darauf zu warten, dass andere das Ohnmachts-Dilemma auflösen, ist eine unrealistische und gefährliche Illusion. 

Was macht Ohnmachtsgefühle so schwierig auszuhalten?

Im Kern signalisieren Ohnmachtsgefühle dem Individuum, das es machtlos gegenüber der Umwelt und seiner Zukunft ist und keine Kontrolle mehr über die Abläufe im eigenen Leben hat. Dies wird in letzter Konsequenz als vollständige Machtlosigkeit sich selbst gegenüber empfunden. Ein gewisses Maß an Ohnmacht gegenüber der Zukunft müssen wir zwar alle erleben und zulassen. Bei dauerhaften Ohnmachtsgefühlen geht es jedoch um den Verlust von Kontrolle und Einfluss auf das eigene Leben. Als Menschen sollten wir jedoch – zumindest im engeren Lebensumfeld – Selbstwirksamkeit, Einfluss und Erfolg und damit Kontrolle erleben. Ohnmachtsgefühle werden innerlich als Signale für Bedrohung und Angst erlebt. Daher ist es von besonderer Wichtigkeit, in solchen Situationen Schutz und Hilfe zu erfahren. Kein Mensch sollte dauerhaft von Ohnmachtserfahrungen gequält sein. Die Gefahr, darauf mit exzessivem Substanzkonsum, Depression und Angst zu reagieren, ist sehr groß

Ohnmachtserfahrungen und Substanzkonsum

Für Menschen in der heutigen von Globalisierung und Massenmedien geprägten Welt gibt es viele Situationen, in denen sie Ohnmacht erfahren: 

(1) In der Arbeitswelt finden sie oft keine Erfüllung, sind von Entfremdung und Fremdbestimmung bedroht und sehen keinen Sinn in ihrem alltäglichen Dasein. Immer mehr Menschen erkennen, dass sie durch Leistung und engagierte Arbeit auf keinen grünen Zweig kommen. Das entmutigt und reduziert die Leistungsmotivation, erzeugt auf Dauer aber auch Ohnmachtsgefühle.

(2) Nach einer Trennung oder Scheidung verwehrt die Ex-Partnerin (seltener der Ex-Partner) mit immer neuen vorgeschobenen Gründen und Anlässen den Kontakt zu den gemeinsamen Kindern. Dieses Phänomen, dass zu einer auch das Kind schädigenden Eltern-Kind-Entfremdung (EKE) führen kann, tritt in immer mehr Fällen auf. Die Situation kann für den entfremdeten Elternteil (meistens Väter) zu einer existentiellen Erfahrung von Ohnmacht und Machtlosigkeit werden. Depression und problematischer Substanzkonsum sind mögliche Folgereaktionen. 

(3) Immer mehr gut qualifizierte junge Männer scheitern bei beruflichen Bewerbungen für Führungspositionen oder besonders herausgehobene Tätigkeiten, nur weil sie Männer sind. Sie werden damit Opfer einer rein bürokratischen und politisch verordneten Quote, mit der nicht mehr die besten und kompetentesten, sondern die formal notwendigen Bewerber ausgewählt werden. Für die betroffenen Männer stellt dies eine Erfahrung von Ohnmacht und absoluter Fremdbestimmung dar. Das Ganze schädigt im Übrigen auch hochqualifizierte Frauen und die Wirtschaft ganz allgemein. 

Die beispielhaft genannten Erfahrungen können zu schwerwiegenden Erfahrungen von Ohnmacht und Kontrollverlust hinsichtlich Gerechtigkeit, Teilhabe und Selbstwirksamkeit führen und – insbesondere Männer – belasten, bisweilen sogar traumatisieren. In der Folge kann es zu problematischem Substanzkonsum oder einer Verstärkung bereits vorhandener problematischer Konsummuster kommen.  

Dauerhafte Ohnmachtsgefühle führen zu Gleichgültigkeit

Gleichgültigkeit wird normalerweise als ein Mangel an Gefühlen oder Interesse beschrieben (siehe ausführlich auch Gleichgültigkeit – das seltsame Gefühl der Gefühllosigkeit). Dies entspricht aber oft nur der Sichtweise von außen. Innerlich stellt sie oft auch eine Reaktion auf übermäßigen Stress, erlebte Traumata oder chronische Ohnmachtsgfühle dar. Sie kann insofern als eine emotionale Reaktion auf dauerhaft erlebte fehlende Selbstwirksamkeit oder Gefühle von Ärger und Groll (siehe Groll – ein tief sitzendes Gefühl, um sich das Leben schwer zu machen) betrachtet werden. Folglich ist Gleichgültigkeit als eine Anpassungsreaktion auf erfahrene und in der Zukunft erwartete Ohnmachtsgefühle und Erfahrungen von Wirkungslosigkeit zu verstehen. Menschen, die zu viel oder zu lange Ohnmacht erleben, entwickeln oft diese Gleichgültigkeit als Selbstschutz gegen zu weitere Verletzungsgefühle, Trauer und Niedergeschlagenheit. Dabei spielt Substanzkonsum als Affektschutz eine verstärkende und – subjektiv zunächst – hilfreiche Rolle. 

Am Ende ist es genau das Fehlen eines spezifischen Gefühls oder einer Emotion, das die Gleichgültigkeit definiert. Gleichgültigkeit ist insoweit eine emotionale Selbstberuhigung vor dem Hintergrund starker negativer Erlebnisse. Gleichgültigkeit stellt oft einen Abwehrmechanismus gegen befürchtete überbordende Gefühle oder zur Bewältigung von chronischen Frustrationen und Traumata dar. Mit Gleichgültigkeit – oft auch in Kombination mit Substanzkonsum – werden auch oft aggressive Eruptionen vermieden. Die wahren und relevanten Gefühle werden somit aber auch dauerhaft unterdrückt und am Ende nicht mehr gespürt.

Gleichgültigkeit wie auch Substanzkonsum sind Versuche der Emotionsregulation, bei denen stark belastende Gefühle – bis hin zu Traumata – weitestgehend unterdrückt werden. Das Emotionssystem wird dabei deutlich herunterreguliert, um weitere aversive Situationen oder Interaktionen zu vermeiden. Dies ist als Regulationsversuch dauerhaft – ähnlich wie das Gegenteil – wenig erfolgversprechend, da zentrale Verarbeitungs- und Interaktionsprozesse unterbleiben. Man kann zentralen emotionalen Erfahrungen, wie Ohnmachtsgefühlen, auf Dauer nicht entfliehen.

Tipps gegen Ohnmachtserleben

Tipp 1

Wenn Du Dich ohnmächtig und diskriminiert fühlst, suche den Kontakt mit anderen, denen es genauso geht! Betroffene – besonders Männer – tendieren oft dazu, sich in Krisen und bei Ohnmachtserfahrungen zurückzuziehen. Das ist falsch! Frauen- und Männergruppen, geschlechtsspezifische Themenportale im Internet sowie Frauen- und Männerberatungsstellen und Psychotherapie können helfen. 

Tipp 2

Arbeite an Deinen Emotionen! Es ist wichtig, dass Du nicht verbitterst, wenn Du schon länger unter Ohnmachtsgefühlen leidest. Generalisiere Deine Erfahrungen im Leben nicht auf alles! Reflektiere und sortiere Deine Emotionen in Zusammenhang mit Ohnmachtsgefühlen! Achte auf Deine Emotionen, wenn Du neue Wege beschreitest, z.B. bei neuen Kontakten. Emotionen sind wie Leitplanken für Deinen gelingenden Weg durchs Leben. Du brauchst auch keine Substanzen, um Dich besser zu fühlen. Sie gaukeln Dir nur gute Gefühle vor. In Wirklichkeit betäuben und benebeln sie Dich.

Tipp 3

Stärke Dein Ich und damit Deine Ressourcen und Resilienzen! Kurz: Fördere Deine psychischen Abwehrkräfte! Pflege Dein Leben als Dein ganz eigenes! Dazu gehören Körper und Geist. Suche den ganz eigenen Sinn in Deinem wertvollen Leben! Du kannst Dich dabei auch von erfahrenen, weisen Menschen (Therapeuten, spirituelle Begleiter) unterstützen lassen.

Tipp 4

Meide oder verlasse Menschen, die Dich immer wieder ohnmächtig machen! Sie tun Dir nicht gut und am Ende wird die Interaktion mit ihnen zu einer Schleife nach unten. Sie haben nicht das Recht, Dir Deine Energie und Lebensfreude zu nehmen. Oft liegen die Ohnmachtserfahrungen an einer fehlerhaften Auswahl von Partner und Freunden. Wähle stattdessen Deine Vertrauenspartner unter Männern und Frauen sorgsam aus! Das ermöglicht mehr Zufriedenheit und Erfolgserlebnisse in der Zukunft.

Tipp 5

Beschreite neue Wege! Probiere Dinge in Deinem Leben aus, die Du Dich bisher nicht getraut hast! Verzichte auf Substanzkonsum und Suchtverhalten, wenn Du Dich ohnmächtig und schlecht fühlst. Baue Schritt für Schritt Deine Fähigkeit aus, innere Spannung auszuhalten und Dich echten Freunden mitzuteilen! Suche aktiv Menschen, die Dich verstehen und die Dir guttun! Indem Du für Dich aktiv wirst, machst Du einen ersten wichtigen Schritt aus der Ohnmacht. Aus Deiner Ohnmacht kannst Du Dich selbst befreien, aber Du musst dir dabei vielleicht auch helfen lassen (siehe Pkt. 1). 

Schlussgedanken

Es ist kann durchaus normal sein, sich in bestimmten Phasen des Lebens machtlos zu fühlen. Die Machtlosigkeit und das damit verbundene Ohnmachtsgefühl sollten jedoch nicht zu lange andauern und zu Substanzmissbrauch, Depression und Fatalismus führen. Wichtig ist, diese Gefühle zu erkennen und aktiv Maßnahmen zu ergreifen, um das Gefühl der Kontrolle und Selbstwirksamkeit wiederzuerlangen. Es ist auch wichtig zu wissen, dass es in Ordnung ist, sich dafür Hilfe zu suchen und diese anzunehmen.